Der Therapieverbund Ludwigsmühle bietet im Verbund seiner Einrichtungen Hilfen für suchtgefährdete, suchtkranke und im weiteren Sinne von Sucht betroffenen Menschen und deren Angehörige. Der Geschäftsführer Dr. Dirk Kratz zeigt sich im Interview besorgt um die Zukunft der gemeinnützigen Träger, deren Angebote immer stärker bedroht sind. Wer wird sich am Ende um die Zielgruppe kümmern?

Dr. Dirk Kratz ist Geschäftsführer des Therpaieverbund Ludwigsmühle gGmbH.

Was macht die gemeinnützige Arbeit des Therapieverbunds Ludwigsmühle besonders?

Das ist vor allem unsere Hauptzielgruppe, also Menschen, die von illegalen Substanzen abhängig sind. Ich sehe immer mehr, dass sich im Grunde wenig um diese Zielgruppe gekümmert wird. Es gibt immer weniger Träger, und hier insbesondere private Träger, die Rehabilitationsbehandlungen für Menschen mit einer Drogenabhängigkeit anbieten. Auch bei kirchlichen Trägern gibt es teils aus Traditionsgründen diese Entwicklung, wenn sie sich etwa auf Personen mit Alkohol- oder Medikamentenproblemen konzentrieren. Menschen, die illegale Substanzen gebrauchen, werden dann weiter verwiesen. Um diese kümmern sich vornehmlich paritätische Träger. Ohne die Angebote von gemeinnützigen Trägern würde diese Landschaft langsam sterben. Aus privatwirtschaftlicher Perspektive kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen, wie das in irgendeiner Art und Weise bei den aktuellen Marktbedingungen umsetzbar wäre.

 

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

In der Suchthilfe ist die Teilhabe der Betroffenen an den Hilfeformen eine ständige Aufgabe. Viele Angebote bis hin zu therapeutischen Ansätzen sind von Betroffenen für Betroffene gestaltet worden, beispielsweise aus den damaligen therapeutischen Gemeinschaften, die es teilweise heute noch gibt.

Lange Zeit war es auch üblich, dass man als Betroffene*r in der Suchthilfe therapeutisch arbeiten konnte, wenn man den gesamten Behandlungsprozess durchlaufen hat. So gab man seine eigenen Erfahrungen an andere weiter und hatte zudem einen besonders empathischen Zugang zur Zielgruppe. Heutzutage ist dieser Weg mit den eigenen Erfahrungen in der Bewältigung einer Drogenproblematik selbst einen Beruf in der Suchthilfe zu ergreifen, wegen der hohen Qualifikationsanforderungen und einer zunehmenden Begrenzung der Qualifikationswege nicht mehr so einfach möglich.

In der Arbeit mit Selbsthilfegruppen steht eine Kommunikation im Vordergrund, die von einer Offenheit für die Bedürfnisse der Gruppenmitglieder geprägt ist. Bei unserer Selbsthilfegruppe für Angehörige von suchtkranken Kindern werden vor allem viele Fragen besprochen, die die Eltern mitbringen. Und so ist es auch in den anderen Selbsthilfegruppen. Die Personen möchten ihre Fragen loswerden und diskutieren. Das Suchthilfesystem in Deutschland ist in Teilen sehr komplex und auch teilweise ein eigenständiges System mit sehr schwierigen Schnittstellen, Hürden und Zugangsregeln geworden. Häufig geht es um Tipps, wie man in eine bestimmte Klinik kommt oder wie man einen Antrag stellt usw.

Zusammen mit der Initiative #MyBrainMyChoice und weiteren Kooperationspartner*innen arbeiten wir auch am Thema “Entstigmatisierung von suchtbetroffenen Menschen”. Hier möchten wir in den Blick nehmen, wie wir unter den aktuellen Qualifikationsbedingungen und dem rigiden institutionalisierten Suchthilfesystem Betroffene besser in unsere Arbeit integrieren können. Beispielsweise beim Schwerpunkt “Entkriminalisierung” oder der “Entstigmatisierung von Sprache”. Wie wir sprechen, kann Menschen inkludieren, aber auch ausschließen. In einer Arbeitsgruppe zu dem Thema haben wir dazu die Broschüre “Sprache, die zählt” herausgegeben. Das sind Beispiele für Prozesse, in die wir Betroffene viel mehr einbinden können und müssen. 

 

Welche Qualifizierungswege gibt es für Betroffene, die sich in der Suchthilfe engagieren wollen?

Bei manchen Trägern gibt es eine grundlegende Suchthelfer-Ausbildung. Der fdr+ Fachverband Drogen und Suchthilfe e.V. in Thüringen hat ein sogenanntes Lotsennetzwerk aufgebaut. Hier werden Menschen zu Suchtlots*innen ausgebildet, die dann andere Menschen in ihrer Suchtproblematik begleiten. Bei den Guttemplern Deutschland gibt es die SoberGuides, die als selbst Betroffene ebenfalls Hilfe anbieten. Hier gibt es viele Wege, um in der Suchtselbsthilfe aktiv zu werden.

In unserem Podcast “Freiheit ohne Druck” haben wir ein paar Folgen dazu aufgenommen, wenn man von einem Job in der Suchthilfe träumt, z.B. “Wege in die berufliche Suchthilfe”. Der Suchthintergrund eines Betroffenen gerät dabei zunehmend aus dem Fokus. Egal in welchem Bereich jemand in der Suchthilfe beschäftigt wird, ist eine persönliche Betroffenheit als Zusatz interessant, aber im Vordergrund steht für die finanzierenden Leistungsträger wie z.B. die DRVen, Bundesländer oder Kommunen die Grundqualifizierung. Die Bewerber*innen sind meistens Studienabsolvent*innen der Sozialen Arbeit, Psychologie oder haben einen Ausbildungsberuf erlernt sowie eine Zusatzausbildung. Das ist natürlich eine gewisse Hürde.

 

Warum stehen gemeinnützige Einrichtungen wie der Therapieverbund Ludwigsmühle in diesen Zeiten unter Druck?

Ohje, wo soll ich da anfangen?

Wir merken den Fachkräftemangel sehr stark. Einerseits stecken wir als Träger in einem Generationenwechsel, da viele Mitarbeitende schon sehr lange an Bord sind. Das ist sehr schön, aber bedeutet auf der anderen Seite auch, dass viele jetzt in den Ruhestand gehen, ihr Wissen in die Organisation übergehen muss und die Stellen nachbesetzt werden müssen. Diese Nachbesetzungen sind, vor dem Hintergrund der hohen Qualifikationsanforderungen und Anforderungen der neuen Beschäftigten an die Arbeitsstelle, nicht einfach zu bewältigen. Ein Flaschenhals ist v.a. die Besetzung von psychotherapeutischen bzw. suchttherapeutischen Stellen, wobei der Einsatz für Therapeut*innen in Ausbildung durch die Deutsche Rentenversicherung immer schwerer gemacht wird. Außerdem werden therapeutische Qualifikationen immer teurer und es wird zunehmend erwartet, dass der Träger die Kosten dafür übernimmt. Andererseits sehe ich immer wieder, dass das Arbeitsfeld “Suchthilfe” für viele psychotherapeutische Fachkräfte im Vergleich zu einer eigenen Praxis viel zu unattraktiv ist – von der Klientel bis hin zum Verdienst. Und das stellt uns als gemeinnütziger Träger der Drogenhilfe, der um jeden Cent mit unseren Leistungsträgern ringt, vor große Probleme.

Wir ringen um die gleichen Fachkräfte wie der gesamte psychosomatische Sektor, also psychotherapeutische und medizinische Fachkräfte. Allerdings sind unsere Tagessätze niedriger als die der anderen. Wenn sich das in den nächsten Jahren nicht bessert, ist aus meiner Sicht die gesamte Suchthilfe im Kern bedroht.

Kleine Einrichtungen wie unsere prägen in Deutschland die Landschaft der Drogen-Reha, nicht “große Kliniken”. Und vor dem aktuellen Modernisierungsdruck, Fachkräftemangel, Qualitätsanforderungen u.v.m. sind kleine Einrichtungen akut von der Schließung bedroht. Erst letztes Jahr haben bei uns in der Nähe zwei Kliniken schließen müssen. Teilweise kann im Moment wegen des Personalmangels keine Vermittlung mehr in andere Kliniken stattfinden, wie mir eine Mitarbeiterin aus unserer Suchtberatung berichtet hat. Entweder sind die Teams durch den Fachkräftemangel geschrumpft, sodass der Betrieb nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Oder die Gebäude sind so marode, dass sie teilweise nicht mehr genutzt werden dürfen. Das System ist leider wirklich kaputt, und ich sehe keine Bereitschaft auf Seiten der Leitsungsträger, das anzuerkennen. Dort werden eher immer neue Regularien ausgedacht, die am Ende mehr Geld kosten, ohne dass eine Refinanzierung geklärt ist.

Ein anderer Punkt sind immer wieder Forderungen von öffentlichen Leistungsträgern nach Eigenanteilen, z.B. bei der Finanzierung von Suchtberatungsstellen. Doch woher soll dieser Eigenanteil kommen, wenn teilweise noch nicht einmal Einnahmen möglich sind? Nicht-kirchliche Träger sind damit für den Betrieb zwingend auf Spenden angewiesen. Und das bei einem wichtigen Teil unserer Beratungslandschaft! Von politischer Seite wird gerne argumentiert, dass Eigenanteile in Beratungsstellen z.B. in Haushaltsordnungen festgelegt seien - aber es steht nirgendwo, dass diese Verordnungen nicht auch geändert werden können. Wir brauchen endlich eine auskömmliche Finanzierung über die gesamte Versorgungskette!

Man muss einfach deutlich sagen, wenn nicht endlich der politische Wille da ist, gemeinnützige Einrichtungen der Drogenhilfe zu unterstützen, haben wir ein Problem.

Die Fachklinik Ludwigsmühle

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Einrichtungen beitragen?

Der Drogenhilfe würde es helfen, wenn man den Bereich jenseits von Skandalisierung stärker in den Vordergrund stellen würde. Wie schwer krank diese Menschen sind, in welcher Lage sie sich befinden und was für eine umfassende Betreuung sie eigentlich brauchen. Für die meisten ist die Drogen-Reha immer noch eine Blackbox. Keiner weiß, was da wirklich vorgeht, was das für Menschen sind, was sie für eine Biografie haben, warum die dort sind und dass das wirklich jedem passieren kann.

Eigentlich müssten gerade politische Entscheidungsträger*innen und Leistungsträger jede Woche selbst ins Bahnhofsviertel von Frankfurt oder in andere Szene-Hotspots fahren und die Lage der Menschen anschauen, für die wir dringend flächendeckend gute Angebote vorhalten müssen. Es braucht immer wieder eine gemeinsame Anstrengung, damit Suchtproblematiken gesellschaftlich anerkannt und gesehen werden. Jeder muss begreifen, dass man sich um diese Menschen kümmern muss und sie es verdient haben, dass man ihnen hilft.

Ich weiß z.B. von Trägern der Eingliederungshilfe oder auch der Jugendhilfe, die eine Person nicht in ihre Wohnformen aufnehmen, wenn sie im Vorgespräch feststellen, dass diese Person kifft. Das ist doch krass. In der ambulanten Psychotherapie wirst du meistens auch nicht aufgenommen, wenn der*die Therapeut*in feststellt, dass man illegale Substanzen konsumiert oder anscheinend ein Suchtproblem hat. Diese Stigmatisierung, die verhindert, dass suchtbetroffene Menschen nicht mit der passenden Hilfe versorgt werden können, ist dramatisch. Wir brauchen dringend eine Entstigmatisierung von Suchtproblemen!

 

Wieso braucht es Ihrer Meinung nach einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Die Suchthilfe darf nie privatwirtschaftlichen Interessen ausgesetzt werden. Muss eine Beratungsstelle eine bestimmte Mindestanzahl von Beratungen im Jahr haben? Natürlich muss sie ihre Funktion erfüllen und natürlich muss sie gute und professionelle Beratung machen. Aber diese Leistung, die aus meiner Sicht eine Leistung der kommunalen Daseinsvorsorge darstellt, darf nicht ökonomisiert werden. Und das ist im privatwirtschaftlichen Bereich nicht mehr möglich.

Der Genesungsweg ist nicht immer der Hilfeweg. Gerade bei Drogenproblematiken ist dieser Weg nie gerade, sondern er hat ganz viele Umwege und dauert teilweise sehr lange. Das hat einerseits mit der Beratungs- und Behandlungslandschaft zu tun, aber andererseits mit den hoch individuellen Wegen aus einer Suchtproblematik. Ökonomisch betrachtet zeigt sich bei den meisten Hilfeformen in der Suchthilfe ein sehr hoher Social Return On Invest, aber aus privatwirtschaftlicher Perspektive lohnt sich ein Engagement in der Suchthilfe im Grunde nicht.

Dennoch gibt es Social Start-Ups, die versuchen, über den privatwirtschaftlichen Weg in eine öffentliche Förderung zu kommen. Dabei sprechen sie mit ihrer Kostenstruktur vor allem Menschen an, die sich ihre Angebote leisten können. Die meisten Menschen, die eine schwerwiegende Drogenproblematik haben, leben aber häufig in Armut. Wenn sich jemand um diese Zielgruppe kümmert, dann sind das gemeinnützige Organisationen. Mit einer Zunahme an kostenfreien, gemeinnützigen digitalen Suchthilfeangeboten, wie z.B. der Plattform Digi-Sucht, kann man hier aber viel erreichen, ganz ohne Privatwirtschaft.

 

Das Interview führte Lilly Oesterreich


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief des Therapieverbund Ludwigsmühle als PDF herunterladen.

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Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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