Vor 35 Jahren verabschiedet die Mitgliederversammlung des Paritätischen Gesamtverbandes die Grundsätze der Verbandspolitik.
In der Präambel formuliert der Verband dabei eines seiner wichtigsten Anliegen: Seine Mittlerfunktion zwischen Generationen, Weltanschauungen, Ansätzen und Methoden sozialer Arbeit und auch zwischen seinen Mitgliedsorganisationen. Es sind Grundsätze auf der Höhe der Zeit.
Ein Blick zurück
Als die Mitgliederversammlung des Paritätischen Gesamtverbandes am 27. Oktober 1989 die Grundsätze der Verbandspolitik einstimmig verabschiedet, endet ein viele Monate andauernder Prozess der innerverbandlichen Beratungen und Diskussionen.
Ein wichtiger Zwischenschritt dabei: Die Veröffentlichung der Diskussionsgrundlage zu den Grundsätzen der Verbandspolitik Anfang des Jahres 1989. Der damalige Vorsitzende Dieter Sengling lädt gemeinsam mit Hauptgeschäftsführer Klaus Dörrie die Mitgliedschaft zur Debatte des Entwurfs ein.
Und die Mitgliedschaft lässt sich nicht lange bitten: Die Inhalte seien zu „emphatisch, [...] Wohlfahrtspflege sei etwas weit Nüchternes, als die Grundsätze den Anschein erwecken”. Es gehe eben auch „um Geld, Prestige, Macht“. Das Papier sei „viel zu lang“ und brauche Anmerkungen zur Geschichte des Verbandes. Nicht zuletzt müsse „der Bedeutungsgehalt des Wortes Parität“ näher erläutert werden. Neben kritischen Anmerkungen findet sich auch viel Zuspruch, mit dem „Entwurf der Grundsätze“ habe der Gesamtverband „einen überfälligen und wichtigen Schritt getan“.
Ein Schritt, der auch notwendig wird, weil sich der Verband im Umbruch befindet. Seit der Wiedergründung des Paritätischen Gesamtverbandes im Oktober 1949 wächst die Zahl der Mitgliedsorganisationen stetig an, 1989 sind es bereits 5.200. Der Verband wird größer, die Mitgliedschaft zunehmend heterogener mit Organisationen u. a. aus dem Bereich der Elternvereinigungen behinderter Kinder, der Kinderladenbewegung, der Gesundheitsselbsthilfe sowie Sozial- und Arbeitsloseninitiativen.
Mit den Grundsätzen der Verbandspolitik fixiert der Paritätische 1989 erstmals über den reinen Satzungszweck hinausgehend und umfassend sein Selbstverständnis. Der „Zweckverband DPWV“ verständigt sich in einem Diskussionsprozess mit seinen Mitgliedern über das Besondere am Paritätischen, aber auch über die Grundprinzipien, an denen sich die Arbeit im Verband orientiert: darunter Toleranz, Offenheit, Vielfalt; Selbstbestimmung und Eigenverantwortung; Gegenseitigkeit und Solidarität; Kritik und Selbstkritik, aber auch Konfliktbereitschaft.
Neue Herausforderungen
Heute, 35 Jahre nach der Verabschiedung der Grundsätze der Verbandspolitik, stehen der Paritätische Gesamtverband und seine Mitgliedsorganisationen vor neuen Herausforderungen. Das Abnehmen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das Erstarken von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit und die spürbaren Folgen des Klimawandels machen deutlich, dass die Grundsätze, Handlungsprinzipien und Werte des Verbandes relevanter sind denn je. Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, „verstanden als Recht eines jeden Menschen auf gleiche Chancen zur Verwirklichung seines Lebens in Würde und der Entfaltung seiner Persönlichkeit” ist dabei ebenso unverrückbar wie die zeitgemäße Beschreibung sozialer Problemlagen und die „unablässige Suche nach Antworten durch Soziale Arbeit”.
Die freie Wohlfahrtspflege agiert darüber hinaus in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft als Mittler zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus, Kulturen und Generationen. Gerade in Zeiten, in denen demokratiefeindliche Tendenzen zunehmen und soziale Gräben sich vertiefen, braucht es mehr denn je Räume der Begegnung und des Austausches – Orte, an denen Menschen zusammenkommen und durch gemeinsame Projekte und Initiativen Demokratie erleben und stärken können.
Räume der Begegnung, des Austauschs und Zusammenhalts
Solche Räume entstehen nicht von allein. Sie erfordern echte Anstrengungen auf lokaler Ebene, wo das aktive, soziale Bürger*innenengagement und die Angebote der Mitgliedsorganisationen des Paritätischen eine entscheidende Rolle spielen. Über die Arbeit vor Ort werden nicht nur soziale Probleme adressiert, sondern auch demokratische Werte gelebt und vermittelt sowie Handlungskompetenzen gestärkt. Durch konkrete Maßnahmen wie Nachbarschaftsprojekte, interkulturelle Begegnungsstätten oder Selbsthilfegruppen werden Räume geschaffen, in denen Menschen unterschiedlicher Hintergründe aufeinandertreffen, sich austauschen und gemeinsam Lösungen für gesellschaftliche und soziale Herausforderungen entwickeln können. Starke Bündnisse für Demokratie und die Gestaltung des sozial-ökologischen Wandels
Ein Beispiel für das Engagement des Paritätischen ist das Bündnis „Zusammen für Demokratie. Im Bund. Vor Ort. Für Alle“, das der Verband mit ins Leben gerufen hat und dem inzwischen rund 70 zivilgesellschaftliche Organisationen angehören. Gegründet am Internationalen Tag gegen Rassismus, setzt sich das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte ein und stärkt lokale Initiativen, die sich gegen Rassismus, Ausgrenzung und das Erstarken rechtsextremer Kräfte wie der AfD engagieren. Ziel ist es, nicht nur wichtige gesellschaftliche Debatten anzuregen, sondern auch vor Ort konkrete Unterstützungsangebote zu schaffen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Vernetzung und Stärkung bereits bestehender Initiativen, die in ihrem jeweiligen Umfeld aktiv sind und am besten wissen, wo vor Ort die rechtsextremen Strukturen ihre Wurzeln haben und wie sie in ihrem Sozialraum aktiv werden können.
In den Grundsätzen der Verbandspolitik ist das Prinzip der Unterstützung und Förderung „mitbürgerlichen Engagements” fest verankert. Der Verband sieht es in diesem Zusammenhang als seine Aufgabe, das System der Angebote und Hilfen um neu entstehendes zivilgesellschaftliches Engagement zu unterstützen. Denn nur durch eine starke und engagierte Zivilgesellschaft lassen sich die Herausforderungen der Gegenwart meistern.
Auch im Bereich Klimaschutz hat der Paritätische eine wichtige Mittlerfunktion und bringt dabei ökologische und soziale Aspekte zusammen. Bereits im Jahr 2019 formuliert der Verband Grundsätze erfolgreicher Klimapolitik. Darin heißt es, dass der Verband Stellung bezieht für Menschen „die darauf angewiesen sind, dass die notwendige ökologische Wende eine sozial-ökologische sein wird“. Mit fachlich pointierten Wortmeldungen, die auf die Relevanz sozialer Sicherheit für die Akzeptanz der ökologischen Transformation hinweisen, nimmt der Paritätische eine Vorreiter- und Mittlerrolle auch im Kontakt zur Umweltbewegung ein. Dies zeigt sich auch an zahlreichen Kooperationen mit Umweltorganisationen und Bündnisaktivitäten für Klimaschutz, wie zum Beispiel mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und als Mitglied der Klimaallianz. Nicht zuletzt unterstützt der Paritätische seine Mitgliedsorganisationen aktiv bei der Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen, zum Beispiel mit praxisnahen Publikationen und der Möglichkeit zu Vernetzung und Erfahrungsaustausch mit anderen Akteur*innen.
Christian Weßling & Stefanie Köhler