Die SARS-COV-2- Eindämmungsverordnung traf ab Mitte März Pflegeheime und die ambulante Versorgung Pflegebedürftiger besonders hart. Der Lock-Down und die Kontaktsperre, die Abstandsregeln und weitere Schutzmaßnahmen waren in dieser Größenordnung unbekanntes Terrain. Mit großem Engagement und Kreativität haben alle Arbeitsbereiche in der Altenpflege versucht, die sozialen Belastungen für alleinstehende Ältere, für ambulant oder stationär betreute Pflegebedürftige und ihre Angehörigen abzumildern.

„Liebe Besucherinnen und Besucher, liebe Angehörige, auf Grund der Corona Pandemie ist unsere Tagespflege auf behördliche Weisung bis auf Weiteres geschlossen. Wir bedauern dies sehr, halten diese Maßnahmen aber für wichtig und richtig, um das Ansteckungsrisiko, vor allem für unsere Besucherinnen und Besucher, zu vermeiden. Unser Anrufbeantworter wird regelmäßig abgehört und wir rufen Sie so schnell wie möglich zurück, Mails werden gecheckt und Post gelesen. Bei Fragen kontaktieren Sie uns bitte auf diesen Wegen. Passen Sie gut auf sich auf und bleiben Sie gesund!“

So kündigte die ‚Tagespflege auf der Schöneberger Insel‘ in Trägerschaft des Nachbarschaftsheims Schönebergs (NBHS) Mitte März diesen Jahres ihre sofortige Schließung an. Bundesweit mussten alle stationäre Einrichtungen, ambulante wie offene Angebote ihre Klientel über restriktive Maßnahmen aufklären und sich auf eine schwierige Zeit für alle Beteiligten – Leitungen, Fachkräfte, Pflegebedürftige und Angehörige – einstellen. „Eine fürchterliche Situation, als wir alle Angehörigen informiert haben, dass unsere Angebote nicht weiter geführt werden können. Ich habe am Telefon herzzerreißende Situationen erlebt“, schildert Sascha Hannemann, Geschäftsführer der Alzheimer Angehörigen-Initiative gGmbH aus Berlin, die Demenzerkrankten und ihren Angehörigen mit einer großen Vielfalt von niedrigschwelligen Angeboten ein Stück Normalität im Alltag und soziale Teilhabe ermöglicht. Nun aber: „Die Tagespflege im Notbetrieb! Die ehrenamtlichen Besuchsdienste großteilig eingestellt! Die Gruppenangebote alle ausgesetzt!“, zählt Hannemann im Stakkato auf. Lediglich die Einzelbetreuung sei für die dringlichsten Fälle und mit entsprechenden Schutzmaßnahmen weitergeführt worden. Neben den sozialen Folgen für alle Betroffenen, bedeutete der Krisenmodus ein ökonomisches Desaster für das Unternehmen: „Ich wusste nicht, wie wir bis zur Auszahlung staatlicher Hilfen überleben sollten“, erinnert sich Hannemann. Aus Verzweiflung startete die AAI bei ihren Vereinsmitgliedern einen Spendenaufruf. Als nach nur zwei Wochen fast 50.000 Euro zusammenkamen und die Insolvenz abgewendet werden konnte, war er überwältigt. „Die Großzügigkeit war ein Signal an uns, eine große Wertschätzung und Ankerkennung unserer Arbeit.“ Die Rettungsaktion gestattete es, einen Notbetrieb aufrechtzuerhalten und in die Digitalisierung von Angeboten zu investieren: „Wir haben dann mit Telefonkonferenzen effektiv und ohne Reibungsverluste in allen Gremien zusammengearbeitet und auch pflegende Angehörige durch die Krise begleiten können.

Soziale Belastungen gering halten

Das gute alte Telefon, dann Tablets und Smartphones waren für alle Einrichtungen und Angebote ein Rettungsanker: Damit wurde weiter zugehört, beraten und unterstützt, Teams konnten sich weiterhin austauschen. Elementar war digitale Technik für Bewohner*innen von stationären Einrichtungen, weil virtuelle Besuche von Familienangehörigen und Bekannten möglich wurden. „ Das Vermissen war schmerzlich. Wenn dann die Lieben auf diese Weise ins Zimmer geholt wurden, wurde die Isolation für kurze Zeit aufgebrochen“, beschreibt Gina Schmelter, Pressesprecherin des UNIONHILFSWERK. Darüber hinaus hätten in allen Unternehmensbereichen des großen Trägers die Mitarbeitenden und Freiwilligen im Lock-Down alles gegeben, um die sozialen Belastungen durch die Corona-Beschränkungen gering zu halten.

Eingespannt wurde bei diesem Träger auch die junge Generation: Einem Aufruf folgend, haben Kinder und Enkel von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Heimbewohner*innen gezeichnet und ihnen Briefe geschrieben. Und prompt bekamen die jungen Künstler*innen Post zurück. Vielerorts wurde musiziert, um die Älteren aufzuheitern. In den Pflegeheimen „Am Kreuzberg“ und „Am Plänterwald“ gab sogar der Staats- und Domchor Berlin ein Gartenkonzert (Siehe Bild oben). Täglich wurde die Liste aufmunternder Aktionen länger: ein Blumenstrauß für Pflegeheimbewohner*innen zum Frühlingsanfang, ein Wellnesstag mit Verwöhnprogramm oder ein Friseurtermin bei der Einrichtungsleiterin, die selbst zu Kamm, Schere und Föhn griff.

„Die Einrichtungen der Altenpflege haben sich zügig und ideenreich an die Entwicklung der Pandemie angepasst. Wohlwissend, dass ihre Klientel eine Risikogruppe ist, die sich schnell infizieren kann“, resümiert Lisa Schmitdt, Abteilungsleiterin Gesundheit, Teilhabe und Pflege des Paritätischen Gesamtverbands. Aber anfangs sei die Versorgung mit Schutzausrüstung und Masken ein großes Problem gewesen. „Die meisten Einrichtungen mussten, über das, was der Bund leisten konnte, in die Selbstbeschaffung gehen, mithilfe der Landesverbände des Paritätischen oder mit eigenen kreativen Lösungen“, so Schmidt.

Masken nähen im Akkord

Beispielsweise rief das NBHS Nachbarn und Ehrenamtliche auf, Mund-Nasen-Masken zu nähen. 1300, viele davon hoch professionell verarbeitet, wurden abgeliefert und zum Schutz von Mitarbeitenden und zu Betreuenden in allen Arbeitsbereichen eingesetzt – ob im Hospiz, in Sozialstationen, in der Familienpflege, im ehrenamtlichen Besuchsdienst, in Kitas oder Flüchtlingsunterkünften. Auch der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Landesverband Sachsen-Anhalt stand vor dem Dilemma, seine Mitarbeitende nicht vor Infektionen schützen zu können. „Es war furchtbar“, erzählt Irina Schmaus, Pressereferentin des ASB Landesverbands Sachsen-Anhalt, „bis dann die Samariter*innen im Landesverband und den Regionalverbänden im Akkord für Kolleg*innen Masken nähten!“ Das solidarische Handeln in allen ASB-Gliederungen ziehe sich wie ein roter Faden durch die Corona-Krise, freut sich Schmaus und ist besonders stolz auf Initiativen wie: Spontan eingerichtete Kitas für bis zu zehn Kinder von Samariter*innen, die arbeiten mussten und keine Betreuung mehr hatten. Als Erzieherin sprang auch mal eine Pflegekraft der Tagespflege ein, die einst als Kinderkrankenschwester tätig gewesen war. Wiederum setzte das NBHS freigestellte Erzieherinnen als Co-Betreuerinnen in seinen fünf Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige ein. Sie übernahmen einen Teil der aktivierenden Tagesstruktur, die sonst Ergo- oder Physiotherapeut*innen mit Leben füllen. „Sie haben mit den Bewohner*innen gesungen, gebastelt, gespielt, sie motiviert und beschäftigt“, erzählt Karen Lawerenz, Leiterin der Pflegeabteilung im NBHS und zieht eine positive Bilanz. Die Initiative habe geholfen, einen körperlichen und geistigen Abbau bei den Betreuten abzufedern, und die Erzieherinnen wiederum haben das pflegerische Feld kennengelernt. Was sie aus der Corona-Zeit mitnimmt ist: „Wir halten zusammen, und in der Not wird bereichsübergreifend ausgeholfen. All unsere Mitarbeitende haben nach dem Motto gehandelt, "Wir packen das!".

Neue Besuchskonzepte werden ein Dauerthema

Irina Schmaus betont, dass der ASB-Landesverband im Rahmen der Kinder-und Jugendhilfe von der Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbands sehr profitiert. „In der verwirrenden Anfangsphase und bis heute versorgt uns der Paritätische mit aktuellen Informationen, berät uns und erleichtert die Arbeit. Deshalb konnten wir direkt am Anfang der Krise professionell agieren.“ Auch wenn endlich Kontaktsperre und andere Restriktionen in der Altenpflege gelockert wurden, sagt Schmaus: „Die Kuh ist nicht vom Eis!“ Auch Lisa Schmidt ist sich sicher, „dass neue Besuchskonzepte in der Langzeitpflege ein Dauerthema sein werden“. Einerseits müsse die Infektionsgefahr für Fachkräfte und Betreute niedrig gehalten, andererseits soziale Teilhabe gewährleistet, Isolation vermieden werden. Leider habe die Corona-Krise den Pflegenotstand wie unter einem Brennglas noch sichtbarer gemacht. Die dringend benötigten Pflegereformen müssten mehr als je zuvor zügig angegangen werden. „Wir benötigen nicht nur mehr Fachkräfte, es bedarf bundesweit noch flächendeckender Strategien als Anker für den Umgang mit einer Pandemie.“


Das Verbandsmagazin "Corona und die Wohlfahrt" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Corona und die Wohlfahrt" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Wie in vielen Bereiche hat sich auch für die Wohlfahrt der Alltag durch Corona faktisch über Nacht verändert, sowohl für die Einrichtungen und deren Mitarbeiter*innen als auch deren Klient*innen. Viele mussten ihr Angebot stark einschränken, umbauen oder ganz schließen. Die Verwaltungen mussten sich weitestgehend digital organisieren. Aber einige nutzten die Situation auch, um neue Ideen zu entwickeln. Auch davon wollen wir in dieser Ausgabe des Verbandsmagazins berichten.

Wir haben für unser Magazin Paritätische Mitglieder besucht, die nun Masken nähen und waren in Altenpflegeeinrichtungen, die Senior*innen, die gerade keinen Besuch bekommen können, mit viel Engagement und Herz unterhalten. Sie haben das Beste aus der Situation gemacht und viele tolle, kreative Ideen entwickelt. Wir fragen nach, wie Einrichtungen für Wohnungslose sowie Drogenabhängige mit dieser Situation umgehen und haben Fachartikel zu Kitas, Frauenhäusern und der Flüchtlingshilfe.

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Autor*in

Portrait von Verena Mörath

Verena Mörath

Verena Mörath arbeitet seit 1993 in Berlin als freie Journalistin, Autorin, Online- und PR-Redakteurin und als Fotografin. Zu ihren Themen gehören Sozial- und Gesundheitspolitik, Arbeit und Gesundheit, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, Menschenrechte sowie Inklusion und Teilhabe.

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