Das Leben aller hat sich in der Corona-Pandemie geändert – die fehlenden Ausweich- und Ausgleichmöglichkeiten, Sorgen und Ängste, Verunsicherung und fehlende Perspektiven belasten viele. Für immer mehr Menschen kommen dazu – angesichts geschlossener Geschäfte, Restaurants und Einrichtungen, Kurzarbeit oder Entlassung – zunehmend existentielle finanzielle Nöte. Was sich erst in den nächsten Monaten in den Statistiken abbilden wird, ist in den Einrichtungen der Schuldnerberatung schon heute spürbar: mehr Menschen geraten in Überschuldung und sind dringend auf Unterstützung und Beratung angewiesen! Das Problem ist allerdings: schon vor der Pandemie waren die Wartezeiten lang! Und auch die Beratung selbst steht angesichts notwendiger Schutz- und Hygienekonzepte vor enormen Herausforderungen.

Seit September 2020, berichtet Angelika Wagner von der Schuldnerhilfe Bielefeld, klingelt das Telefon mehr und mehr in der Beratungsstelle; zu den Sprechzeiten fast ununterbrochen. Zwar gäbe es dazu noch keine statistischen Auswertungen, aber die gestiegene Häufigkeit und Dringlichkeit sei spürbar.

Nicht überall und in allen Fällen hat das mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie bzw. den Eindämmungsmaßnahmen zu tun. Viele Menschen haben, seit einer entsprechenden EU-Richtlinie ihr Insolvenzverfahren mit der Aussicht auf eine verkürzte Restschuldbefreiung aufgeschoben. Die finale Umsetzung in Deutschland ließ aber auf sich warten und hat zu einem deutlichen Rückgang der Verbraucherinsolvenzverfahren geführt; nun – seit kurz vor Weihnachten – steht fest:  Auch Privatpersonen in der Insolvenz können bereits nach drei (statt bislang sechs) Jahren eine Restschuldbefreiung beantragen.

Coronabedingt gibt es zudem immer mehr Menschen, die aufgrund von Kurzarbeit, Entlassungen oder geschlossenen Geschäften Einkommenseinbußen haben. Durch die dadurch verursachte finanzielle Notlage droht in vielen Fällen Überschuldung; sie sind dann nicht mehr in der Lage, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Insbesondere Freiberufler*innen und Solo-Selbstständige sind eine Gruppe, die in dieser Größenordnung so vorher gar nicht in der Beratung aufgetaucht ist. Übrigens auch, weil deren Beratung nicht von allen Kommunen finanziert wird – gesicherten Zugang zur Schuldnerberatung haben bislang nur Menschen, die Transferleistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen. Gerade die oben genannte Personengruppe ist es aber, die unter zum Teil massiven finanziellen Einbrüchen leidet.  Wo das heute noch nicht spürbar ist, rechnen Kolleg*innen aus der Beratung damit, dass eine Welle von überschuldeten Menschen noch auf die Beratungsstellen, vor allem aber auf die Gesellschaft zurollt. Die letzte große Krise, die Finanzkrise 2008, so weiß Michael Weinhold, Schuldnerberatung Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit, habe sich auch erst mit zwei Jahren Verspätung in der Schuldnerberatung niedergeschlagen. Denn Überschuldung ist ein schleichender Prozess und die meisten Menschen versuchen alles, um die drohende Überschuldung abzuwenden.

Wichtig ist es, den Menschen, wenn sie Hilfe brauchen, schnell Unterstützung zu ermöglichen – zum einen sind die Schulden manchmal schon zu einem solchen Berg angewachsen, dass es darum geht, schnell Informationen zu möglichen Unterstützungsleistungen weiterzugeben, Anträge zu stellen, Vereinbarungen mit Gläubigern zu treffen, ein Pfändungsschutz-Konto einzurichten oder ähnliches. Zeit ist im Kontext von Schulden ein wichtiger Faktor. Zum anderen brauchen die Ratsuchenden oftmals Unterstützung, die über finanzielle Beratung hinausgeht. Ein Ohr für ihre Geschichte und ihre Erfahrungen; ein Gegenüber, das sie nicht als „schuldig für die Schulden“ abstempelt. Überschuldung geht häufig auch mit Scham einher, das Gefühl etwas nicht geschafft zu haben und dem Wunsch diese Situation zu verbergen. Ein wichtiger Baustein sozialer Schuldnerberatung ist neben der wirtschaftlichen Sanierung deswegen die psychosoziale Beratung und die Erweiterung eigenständiger Handlungskompetenzen der Ratsuchenden.  Der persönliche Kontakt und die vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient*in und Berater*in sind dafür zentral.

Wie Angelika Wagner in Bielefeld haben auch Alexander Elbers, Fachreferent Schuldnerberatung beim Paritätischen NRW und Wolfgang Lippel, Schuldnerberater beim Paritätischen Nienburg – wie viele ihrer Kolleg*innen – die persönliche Beratung größtenteils aufrechterhalten: mit Abstand, Trennscheibe, Maske oder auch am Telefon; mit viel Desinfektionsmitteln und genauen Zeitplänen für die Beratungsräume und Wartezimmer. Die große Herausforderung für die Beratungsstellen ist derzeit den Ratsuchenden schnell einen Beratungstermin anzubieten, mit Hygienekonzept und trotz zum Teil unbesetzter Stellen. Die Wartezeit war schon vor der Pandemie lang, jetzt befürchtet die Praxis der Schuldnerberatung, dass sich eine regelrechte Welle durch die Wartezeiten aufbaut. Wie schon gesagt, Zeit ist ein kritischer Faktor, wenn es darum geht, die Überschuldung in den Griff zu bekommen. Eine bundesweite Umfrage zu Wartezeiten in den großen Städten hat hervorgebracht: 10 Wochen statt 8 Wochen in München, 145 statt 81 Tage in Hamburg, mehrere Monate in manchen Orten in NRW müssen Ratsuchende auf Termine warten.

Durch die Corona-Pandemie verschärft sich eine Situation, auf die die Schuldnerberatung schon seit Jahren aufmerksam macht: wir brauchen einen offenen Zugang zu und einen bedarfsgerechten Ausbau der Beratung! Egal, ob persönlich, telefonisch oder digital – es braucht ein schnelles Angebot.

Der Paritätische fordert gemeinsam mit anderen Verbänden im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände deswegen einen Rechtsanspruch auf Beratung für Menschen, die in Überschuldung geraten. Damit hätten zum einen alle Menschen, die Hilfe brauchen, kostenlos Zugang zu sozialer Schuldnerberatung – unabhängig von ihrem Erwerbsstatus; zum anderen würde ein Rechtsanspruch es den Kommunen vereinfachen planvoll eine bedarfsgerechte Infrastruktur aufzubauen. Gemeinsam mit der Wohlfahrtspflege lassen sich so passgenaue Konzepte entwickeln, Erprobtes verstetigen, Neues ausprobieren – je nach Bedarf, Betroffenheit und Situation der Menschen vor Ort.

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Portrait von Mara Dehmer

Mara Dehmer

Mara Dehmer ist Referentin für kommunale Sozialpolitik in der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa des Paritätischen Gesamtverbandes.

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