Die Akademie Waldschlösschen ist eine niedersächsische Bildungseinrichtung mit einem dezidiert queeren Programm. Mitarbeiter Wolfgang Vorhagen erzählt uns etwas über diesen bundesweit einmaligen Ort. In seinem Text legt er den Schwerpunkt auf Bildungs- arbeit zu HIV und AIDS im Waldschlösschen.

© James Steakley

Die Akademie Waldschlösschen mitten im Wald nahe Göttingen wurde 1981 als Freies Tagungshaus Waldschlösschen gegründet, mit dem Ziel, ein bundesweiter Treffpunkt der 2. Deutschen Schwulenbewegung zu sein. Über die Jahre entwickelte sich das Waldschlösschen zu einer bundeszentralen LSBTIQ*-Bildungseinrichtung. Sie ist seit 1999 eine staatlich anerkannte Heimvolkshochschule in Niedersachsen. Ihre Bildungsarbeit wird, ihrem Leitbild folgend, getragen von dem Respekt für Vielfalt und der Anerkennung der Verschiedenheit von Lebensstilen, Geschlechtern und Sexualitäten sowie der Überzeugung vom Wert von Selbstorganisation und Selbstverantwortung. Träger der Bildungseinrichtung ist seit 2003 die gemeinnützige rechtsfähige Stiftung Akademie Waldschlösschen. Das Bildungs- und Weiterbildungsangebot der Akademie als Schnittstelle zwischen queerer Community und Mehrheitsgesellschaft erhält sein besonderes Profil insbesondere durch Bildung, Vernetzung, Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamt in der Arbeit der Community, im HIV- Kontext, der berufsbegleitenden Weiterbildung in allen Bildungsbereichen von der frühkindlichen (Kita), schulischen und außerschulischen Jugendarbeit bis zur Hochschulbildung – in Kooperation mit Kommunen, Landes- und Bundesbehörden sowie Hochschulen. Heute ist sie Teil des Kompetenznetzwerkes zum Abbau von Homo- und Transfeindlichkeit im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). In der Bildungsvernetzung kooperiert die Akademie mit Menschen, Gruppen und Netzwerken, die sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, insbesondere Homo-, Trans*- und Inter*feindlichkeit oder gegenüber Menschen mit HIV engagieren.


Das Waldschlösschen reagierte 1985 gleich zu Beginn der Aids-Krise mit ersten Bildungsangeboten auch vor dem Hintergrund, dass schwule Männer von Anfang an die Hauptbetroffenengruppe waren und bis heute sind. Teilweise auch in Zusammenarbeit mit der Deutschen Aids-Hilfe wurde damals mit der Konzeption und Durchführung von Fortbildungsangeboten sowohl für Mitarbeiter*innen in AIDS-Hilfen als auch für Menschen mit HIV und Aids begonnen, die sich in AIDS- und Selbsthilfegruppen engagieren.


Ab 1986 fanden die ersten bundesweiten Positiventreffen statt, initiiert von zwei HIV-positiven schwulen Männern. Diese Treffen sind bis heute mit jeweils bis zu 65 Teilnehmenden* ein zentrales Veranstaltungsangebot für HIV-Infizierte in der Akademie Waldschlösschen und finden sechs Mal im Jahr statt. Die Teilnehmenden* kommen mit unterschiedlichem Hintergrund, als Neuinfizierte oder „Langzeitpositive“, berufstätig oder z.T. auch schon seit vielen Jahren berentet, körperlich gesund oder gezeichnet von Erkrankungen als Folge der Infektion oder durch die Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapien. Zusätzlich zu diesen großen Treffen führt die Akademie jährlich drei Treffen für HIV-positive Frauen durch. Vorträge und andere Formen der Informationsvermittlung, Selbstreflexionsangebote, kreative Methoden und Entspannungstechniken werden eingesetzt, um z.B. Informationen im medizinischen und sozialrechtlichen Bereich zu vermitteln, Strategien im Umgang mit Diskriminierung zu erlernen und das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, die Auseinandersetzung mit den relevanten Themen im Zusammenhang mit AIDS zu fördern, Vernetzung zu unterstützen, Engagierte im Selbsthilfebereich zu empowern und Möglichkeiten der Gesundheitsförderung aufzuzeigen. Nicht denkbar wären die Positiventreffen ohne die aktive Beteiligung der Selbsthilfe in die inhaltliche Vorbereitung und Durchführung. Seit 1988 finden die Positiventreffen in Kooperation mit der Selbsthilfegruppe Positiv e.V. statt. Um die Qualität der Treffen und Fortbildungen zu gewährleisten, werden in den Workshops mit dem Thema HIV und Selbsthilfe vertraute Referent*innen, z.T. selbst HIV-positiv, engagiert. Namhafte Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen sind als Dozent*innen bei den Veranstaltungen dabei. Die Themen der bundesweiten Positiventreffen oder der Gesundheitstage für Menschen mit HIV im Waldschlösschen haben sich durch den Einfluss der Therapien spürbar gewandelt. AIDS ist noch nicht heilbar, aber bei einer HIV-Infektion kann man heute von einer meist gut behandelbaren chronischen Erkrankung sprechen. Das 200. Positiventreffen fand im November vergangenen Jahres statt.

 


Das Verbandsmagazin "Queer" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Queer" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns mit den Bedürfnissen queerer Menschen und queerer Arbeit beim Paritätischen. Es gibt Reportagen und Berichte über Schwule und Lesben mit Behinderung, queeres Leben im Alter und auf der Flucht und über Aufklärungsarbeit in ungewöhnlicher Form. Wir haben Interviews über Prävention, queere Bildung, die erste queere KiTa in Berlin. Wir sprachen mit Christel über das Trans-Coming Out ihres Mannes und mit Queen of Drags-Teilnehmerin Vava Vilde über ihre Arbeit als Aktivistin. Unsere Journalistin hat sich außerdem in einer traditionsreichen queeren Einrichtung in Rostock umgeschaut.

Natürlich gehen wir auch ganz aktuell auf die Auswirkungen von Corona in der Wohlfahrt ein und haben dazu einige Stimmen eingesammelt. Und das Neueste aus dem Gesamtverband gibt es auch.

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Autor*in

Portrait von Wolfgang Vorhagen

Wolfgang Vorhagen

Wolfgang Vorhagen, Dipl.Päd, arbeitete von 1985-2019 in der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen und leitete dort u.a. den Fachbereich Veranstaltungen für Menschen mit HIV. Er ist Ehrenmitglied der Deutschen Aids-Hilfe und seit 2015 im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS). Er lebt in Berlin.

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