Die Bremer Heimstiftung engagiert sich als gemeinnützige Organisation auf innovative und vorausschauende Weise für ältere Menschen in Bremen. So lehnt sie die betreuungsintensive Pflege ab und investiert schon lange nicht mehr in den Neubau von Pflegeheimen, um den demografischen Wandel proaktiv zu begegnen. Im Interview erzählt Felix Schauppner, Leiter Neue Wohnformen und Mitglied der Stiftungsleitung, wie die Stiftung auch über die Altenhilfe hinaus in Bremen wirkt.

Felix Schauppner, Leiter Neue Wohnformen und Mitglied der Stiftungsleitung © Reiner Geue

Die Bremer Heimstiftung, gegründet vor 70 Jahren aus fünf städtischen Altenheimen, widmet sich heute der Altenhilfe und betreibt insgesamt 32 Standorte mit vielfältigen Wohnformen und Angeboten. Ihre Mission ist es, ältere Menschen in Bremen zu betreuen und ihr Leben im Alter zu fördern, ohne dabei Kompromisse bei der Qualität und Innovation einzugehen. Sie richtet sich an eine breite Zielgruppe, von noch recht selbstständigen, jedoch unterstützungsbedürftigen Senior*innen bis hin zu stark pflegebedürftigen Menschen, um ihnen einen wohnortnahen und selbstbestimmten Lebensraum zu bieten.

Wie zeigt sich die Gemeinnützigkeit in Ihrer Arbeit und Ihren Angeboten?

Unsere Gemeinnützigkeit zeigt sich auf verschiedene Weisen. Zum einen sind wir eine Stiftung und können weder verkauft werden, noch Eigentümer haben. Unsere Verpflichtung liegt im Dienst am Stiftungszweck. Wir sind nicht auf Gewinnorientierung ausgerichtet und können sämtliche Einnahmen direkt in unsere Dienste und Leistungen investieren.

Unser Hauptziel besteht darin, hochwertige Angebote für ältere, unterstützungsbedürftige Menschen zu entwickeln, in die Ausbildung von neuen Pflegekräften zu investieren und Innovationen in der Pflege, Prävention und Rehabilitation voranzutreiben. Hierbei setzen wir uns ein Alleinstellungsmerkmal, indem wir auch Projekte umsetzen, die sich möglicherweise nicht sofort betriebswirtschaftlich rechnen, aber dennoch unser soziales Engagement stärken. Wir fühlen uns den Bürgerinnen und Bürgern aufgrund unserer Verankerung in der Stadtgemeinde Bremen verpflichtet, Dinge auszuprobieren, an die profitorientierte oder andere Institutionen sich nicht heranwagen würden. Beispielsweise haben wir seit 20 Jahren keine neuen Pflegeheime mehr gebaut, da wir die Herausforderungen des demografischen Wandels frühzeitig erkannt haben. Die steigende Anzahl älterer Menschen und die begrenzten Ressourcen erfordern alternative Wohnkonzepte, die weniger personalintensiv sind, aber dennoch eine angemessene Unterstützung und Sorgestruktur gewährleisten.

Wir sind ebenfalls dazu verpflichtet, unser Stiftungsvermögen zu erhalten, was bedeutet, dass wir unsere Standorte nicht verkaufen. Dadurch bieten wir langfristige Sicherheit und Zusammenarbeitsperspektiven.

Die Bremer Heimstiftung agiert auch als aktiver Motor der Stadtentwicklung und bereichert das Gemeinwesen durch Mehrwert, der über die Altenhilfe hinausgeht. Unsere Arbeit trägt zur Lebendigkeit der Stadtteile bei und fördert die Lebensqualität, insbesondere für ältere Menschen. Wir engagieren uns aktiv für die Gemeinschaft und den sozialen Raum und bieten eine breite Palette von Angeboten und Dienstleistungen, die unser Gemeinwesen insgesamt bereichern, was von vielen privaten Organisationen nicht in dieser Breite verfolgt wird.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

Grundsätzlich gehen wir von einem Menschenbild aus, bei dem wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Wir verstehen uns nicht primär als Dienstleister oder als Unternehmen, das etwas verkaufen möchte. Der Bedarf der Menschen steht bei uns im Mittelpunkt. Was bringen sie mit und wie können wir sie möglichst gut unterstützen? Wir versuchen nicht, fertige Konzepte überzustülpen, sondern am Menschen selbst, auch an der Teilhabe des Menschen anzusetzen und den Menschen als Experten seiner eigenen Lebenswelt zu begreifen. Und das wirkt sich auf unser Selbstverständnis, auf unsere alltägliche Arbeit und auf unsere Angebote aus.

Es gibt sicher viele private Träger, gerade in der Altenhilfe, die ein perfektes Dienstleistungspaket schnüren, bei dem ich mich um nichts mehr kümmern muss. Wir haben ein anderes Bild. Wir möchten mit den Menschen zusammenarbeiten, an den vorhandenen Ressourcen und den Biografien ansetzen und fordern dabei vielleicht auch Menschen heraus, sich zu engagieren und aktivieren. Bei uns soll es nicht einfach nur Betreuung sein, sondern eine gegenseitige Befruchtung. Es gibt natürlich auch bei uns kostenpflichtige Dienstleistungen professioneller Art, bei denen wir die Menschen begleiten, unterstützen, assistieren und pflegen. Aber auf der anderen Seite versuchen wir, die Menschen mit ihren eigenen Ressourcen mitzudenken und gemeinsame Lösungen, Sprachformen und Kommunikationskanäle zu finden. Da gibt es zwei schöne Sätze, die unser Menschenbild gut illustrieren: "Teilhabe, aber auch Teilgabe", denn Menschen möchten auch etwas einbringen. Und: "Wer rastet, der rostet". Wir verfolgen ein sehr aktives und positiv konnotiertes Bild vom Alter, im Gegensatz zum gesellschaftlich vorherrschenden, häufig defizitorientierten Blick auf das Alter.

Über Projekte, Ansprachen und Gremien, in denen sich Menschen in unseren Einrichtungen zusammentun können, um eigene Ideen zu entwickeln, aber auch Kritik vorzubringen und positive Impulse zu geben sowie zur Weiterentwicklung der Stiftung beizutragen, setzen wir unser Engagement um. Dabei wird auch bei älteren Menschen, möglicherweise bei dementen Menschen, darauf geachtet, welche Formen der Kommunikation noch möglich sind und wie eine Demokratisierung im Sinne der Interessen sehr pflegebedürftiger Menschen geschaffen werden kann, ohne dass diese im institutionellen Regelwerk untergehen.

Ein typisches Beispiel aus Pflegeheimen ist das gemeinsame Frühstück um acht Uhr, obwohl man vielleicht noch schlafen möchte. Das ist unzeitgemäß. Wie bekommen wir es hin, dass Selbstbestimmung an erster Stelle steht und dass, selbst wenn es schwierig ist, dennoch Wege gefunden werden, um diesen Menschen mit Verständnis zu begegnen und ein möglichst gutes Leben im Alltag zu gewährleisten.

Welchen Herausforderungen begegnen gemeinnützige Einrichtungen aktuell?

Derzeit sehen wir uns mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, sowohl bei gemeinnützigen als auch bei privaten Trägern. Zum einen erleben wir eine deutliche Kostensteigerung bei Lebensmitteln und Energie, was die finanzielle Belastung erhöht. Zum anderen findet sich nicht ausreichend qualifiziertes Personal. Wir investieren zwar massiv in Ausbildung, aber es ist schwierig unsere bestehenden Angebote aufrechtzuerhalten, da dies eine ausreichende Personalausstattung erfordert.

Im Vergleich zu privaten Trägern haben gemeinnützige Organisationen möglicherweise den Vorteil, dass sie kein Gewinnstreben verfolgen müssen, das auf Kosten der Arbeitnehmer oder der Qualität der Dienstleistungen geht. Unsere Geschäftsmodelle sind solide und transparent. Wir sind zwar auch von wirtschaftlichen Zwängen betroffen, haben aber nicht die Notwendigkeit, auf Kosten von Kund*innen und Mitarbeitenden zusätzlichen Gewinn zu erzielen. In dieser Hinsicht sind wir in einer stabileren Position.

Was kann zu einer Stärkung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen?

Eine Stärkung gemeinnütziger Organisationen kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Zunächst einmal ist eine gesellschaftliche und soziale Anerkennung des sozialen Mehrwerts, den gemeinnützige Organisationen schaffen, von großer Bedeutung. Diese Anerkennung sollte sich in der bevorzugten Behandlung gemeinnütziger Arbeit bei der Gesetzgebung, bei Regulierungen und in anderen Formen der Regelgebung niederschlagen.

Des Weiteren ist eine höhere Anerkennung von Pflegeleistungen und Sorgearbeit insgesamt in der Gesellschaft notwendig, was sich in einer gerechten Bezahlung derzeit bereits mehr und mehr ausdrückt. Eine Stärkung der Ressourcen im Bereich Pflege wäre ebenfalls von großem Nutzen.

Es wäre wünschenswert, alternative Modelle der Finanzierung zu entwickeln. Zum Beispiel gab es im Referentenentwurf für die neue Pflegereform ein Budget von 50 Millionen Euro für sogenannte Quartiersprojekte, bei denen sich gemeinnützige Träger bewerben konnten, um dezentrale Versorgungsstrukturen zu erforschen. Leider wurde dieses Budget gestrichen, aufgrund begrenzter Haushaltsmittel. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn gemeinnützigen Trägern wie uns Förderprogramme oder Mittel zur Verfügung gestellt würden, um alternative Geschäftsmodelle zu unterstützen und mutige und innovative Ansätze zu belohnen.

Warum braucht es einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Ich finde es wichtig, dass gemeinnützige Einrichtungen einen Vorrang erhalten, da sie einen klaren sozialen Auftrag verfolgen und einen erheblichen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Wie bereits erwähnt, tragen wir als gemeinnützige Organisation durch unsere Verwurzelung in unserem Stadtteil unmittelbar dazu bei, einen Mehrwert in unserer Gemeinschaft und in den jeweiligen Stadtteilen in Bremen zu generieren. Dies ist etwas, das von vielen privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht in diesem Ausmaß geleistet wird. Natürlich ist auch für uns Wirtschaftlichkeit ein notwendiges Mittel, aber es dient dem Zweck unserer Arbeit und nicht als Selbstzweck. Daher bin ich der Meinung, dass wir die Gemeinnützigkeit noch stärker betonen sollten und die positiven Auswirkungen und Effekte noch stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken müssen. Wir sollten verdeutlichen, welchen Nutzen dies für die Einzelpersonen vor Ort hat und dass es keineswegs selbstverständlich ist, welchen Beitrag wir leisten.


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief der Bremer Heimstiftung als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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