Das Autonome Frauenzentrum Potsdam besteht schon seit über 30 Jahren. In dieser Zeit hat sich Frauenpolitik mehrfach gewandelt. Wichtig bleibt der Schutz von Frauen und die Möglichkeit, Rückzugsorte zu bieten. Ein Ortsbesuch.

Über dem Eingang schwebt ein roter Schirm als leuchtendes Symbol. Er ist das Logo des 1990 gegründeten Vereins. Einen Schirm bräuchte man an diesem strahlenden Sommertag eigentlich nicht – zumindest keinen, der vor Regen schützt. Doch auch in Potsdam brauchen viele Frauen Schutz. Über 5000 Fälle häuslicher Gewalt gab es laut polizeilicher Statistik 2021 in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Die überwältigende Mehrheit der Tatverdächtigen sind Männer, die Opfer größtenteils Frauen.

Diese Frauen bekommen Hilfe und Unterschlupf durch das Autonome Frauenzentrum in Potsdam. Michaela Burkard arbeitet dort seit 2020. Die Politologin kann erklären, was „Autonom“ hier bedeutet und wie es gelebt wird: „Autonom heißt in erster Linie, dass wir nicht zu einem größeren Träger gehören und nur uns selbst und den Interessen von Frauen verpflichtet sind.“ Die Selbstverortung geht auf die Geschichte des Vereins zurück. Diese beginnt in der Frauenhausbewegung, innerhalb der sie sich bewusst keiner Dachorganisation anschlossen. Zunächst waren Frauenzentrum und Frauenhaus in einem Gebäude vereint. Seit 2011 existiert beides getrennt, auch aus Sicherheitsgründen. Das Frauenhaus befindet sich zum Schutz seiner Bewohnerinnen nun an einem geheimen Ort.

Michaela Burkard

In die Geschichte des Autonomen Frauenzentrums Potsdam spielt auch das Ende der DDR rein. Zu dieser hat man ein ambivalentes Verhältnis. „Das Zentrum ist gegründet worden von Frauen, die sich dafür einsetzen wollten, dass bestimmte Dinge aus der DDR nicht verloren gehen“, so Frau Burkard. Gemeint war das progressive Abtreibungsrecht und die allgemeine Besserstellung von Frauen im damaligen Osten. Doch die untergegangene realsozialistische Republik war auch kein feministischer Vorzeigestaat, weiß Michaela Burkard: „Dort wurde über häusliche Gewalt nicht wirklich gesprochen. Sie passte nicht ins Selbstbild der DDR, in der die Gleichstellung der Geschlechter als erreicht galt.“ Frauenhäuser und Beratungsstellen gab es nicht. Selbst etwas zu organisieren, wurde von der Obrigkeit nicht gern gesehen. Daher entstand, sobald es möglich war, nach dem Mauerfall die Potsdamer Einrichtung.

Und warum wählte man die Form der Gemeinnützigkeit? Michaela Burkard: „Wir wollen eine Anlaufstelle sein für Frauen und Mädchen und da geht es nicht um Gewinnmaximierung. Mit unseren Anlaufstellen erfüllen wir wichtige gesellschaftliche Funktionen.“ Außerdem sei es für gemeinnützige Anbieter einfacher, an öffentliche Mittel zu kommen, die für den Betrieb der Einrichtungen dringend gebraucht werden. Welchen besonderen Benefit gemeinnützige Arbeit für Frauen und Mädchen hat, erklärt sie anhand des vom Autonomen Frauenzentrum betriebenen Mädchentreffs: „Man weiß in der offenen Jugendarbeit, dass Jungen da oft sehr dominant sind und viel Raum nehmen.“ Daher bräuchte es einen Ort, wo Mädchen mal unter sich sein könnten. Gemeinnützige Einrichtungen, die nicht auf zahlende Kundschaft setzen müssen, können solche Angebote machen. Außerdem erleichtert eine rein weiblich besetzte und besuchte Einrichtung den Zugang für einige: „Der Mädchentreff ist auch für viele Mädchen eine Anlaufstelle, die zuhause Beschränkungen bekommen.“ Deren Eltern sei es leichter zu vermitteln, dass sie an einem Ort sind, zu dem nur andere Mädchen gehen und Sozialarbeiterinnen sind und keine Jungs.

Hong Anh Nguyen

Eine der Besucherinnen des Mädchentreffs „Zimtzicken“ ist Hong Anh Nguyen, die schon seit 2008 den Treff aufsucht. Ihre Mutter arbeitet dort als Sozialarbeiterin und so wurde die 21-jährige früh auf das Angebot des Autonomen Frauenzentrums aufmerksam. „Anfangs bin ich einfach nur hingegangen und habe dort Zeit mit Freundinnen verbracht. Später habe ich an vielen Projekten teilgenommen“, erklärt sie. Dazu gehörten und gehören Skate- und Graffiti-Kurse, In- und Auslandsreisen oder feministische Workshops und Politiker*innen-Gespräche.

„Was mir immer sehr wichtig war, ist der geschützte Raum“, erklärt Hong Anh Nguyen den Vorteil eines Treffs, zu dem nur Frauen und Mädchen Zugang haben. In gemischtgeschlechtlichen Gruppen gebe es oft ein Gefälle, besonders bei sportlichen Aktivitäten. „Wir können viele Sachen ausprobieren, die als eher typisch für Jungs gesehen werden“, erklärt sie weiter und meint etwa Fußballspielen. Darüber hinaus wertschätzt die Studentin, dass mit Mädchen- und Frauenrechten bei den „Zimtzicken“ Themen angesprochen wurden, die in der Schule weniger vermittelt werden: „Dadurch habe ich viel gelernt und es hat meine Persönlichkeit geprägt.“ Dies sei jetzt auch in ihrem Alltag sehr präsent.

Neue Themen und alte Probleme

Nicht alle Themen, die im Frauenzentrum eine Rolle spielen, sind empowernd. Leider sei häusliche Gewalt immer noch das dominierende Thema in der Beratung, berichtet Michaela Burkard. Über die Hälfte der Anfragen drehen sich leider noch darum. Das Autonome Frauenzentrum ist aber mehr als ein Zufluchtsort für Opfer von misogyner Gewalt. Hier treffen sich auch Frauen selbstorganisiert in Gruppen. Die Betonung liegt auf dem „Selbst“: „Wir leiten die Gruppen nicht, die haben sich selbst gefunden“, betont Frau Burkard. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, als Frau dorthin zu kommen. Vom Tischtennis für Frauen über Geburtsvorbereitungskurse bis hin zu lesbischen oder muslimischen Gruppen sind zahlreiche Facetten und viele Interessen weiblichen Lebens im Programm abgebildet. Nutzen können die Frauen den Raum für einen symbolischen Euro pro Teilnehmerin. All dies steht in einem bunten Programm. Auf dem Titelblatt steht ein Zitat von Musikerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone: „Ich kann euch sagen, was Freiheit für mich bedeutet: Ohne Angst leben.“

Auch der soziale Aspekt wird dabei keineswegs vernachlässigt. Frauen in prekären Verhältnissen, und die sich Kinos, Cafébesuche oder andere teure Einrichtungen nicht leisten können und dennoch Lust auf Vernetzung mit anderen Frauen haben, besuchen gern das Zentrum. Besonders ältere Frauen besuchen gern das einmal im Monat stattfindende, günstige Frühstück.

Es gab seit 1990 viele meist juristische Verbesserungen für Frauen und breite Sexismusdebatten wie #Metoo. Einiges ist in Bewegung. Aber es gibt auch Stillstand und Widerstand, so Frau Burkard: „Ich weiß nicht, wie oft ich mit Leuten schon über das Gendern diskutiert habe, die aber woanders sehr fortschrittlich waren.“ Vieles sei emotional aufgeladen und einem Wunsch nach Beständigkeit geschuldet.

Das Team im Autonomen Frauenzentrum Potsdam (v.l.n.r.): Michaela Burkard, Heiderose Gerber, Silke Klenner und Sara Krieg

Und dann ist da noch die AfD und die Landtags- und Kommunalwahlen in Brandenburg im kommenden Jahr. Im Autonomen Frauenzentrum blickt man mit Sorge auf die hohen Umfragewerte der antifeministischen Partei: „Wir wissen, wenn bestimmte Parteien eine Mehrheit bekommen, sind auch unsere Fördermittel in Gefahr.“ Auch um den Rückhalt in der Politik und Verwaltung, den das Zentrum jetzt noch genießt, fürchtet sie, sollten sich die Mehrheitsverhältnisse ändern. „Und bei großen Wahlerfolgen ändert sich auch die öffentliche Stimmung, etwa gegen migrantische Frauen“, ist Frau Burkard sich sicher.

Aktuelle Debatten gehen am Potsdamer Frauenzentrum keineswegs vorbei, so Michaela Burkard: „Heute haben wir ein diverseres Bild von Geschlecht als vor 20, 30 Jahren. Es vermischt sich mit queeren Themen und migrantische Frauen haben mehr Sichtbarkeit.“ Die Frage, was Geschlecht und was eine Frau ist, würde heute öfter gestellt, findet sie.

 „Ja, es gibt auch Debatten zwischen Generationen und die sind nicht immer ganz einfach“, stellt Frau Burkard fest. Es werde schwieriger, andere Meinungen auch mal stehen zu lassen. Trotzdem sei genau das wichtig. „Viele Ältere haben Ängste, die ich als jüngere Frau nicht nachvollziehen kann“. Aber es sei auch wichtig, neue Debatten aufzugreifen, wie dass Geschlecht eine soziale Kategorie ist und mit Rollen zu tun hat. Und sie beobachtet gerade eine Transformation: „Viele Frauenvereine sind an einem Punkt, an dem sie sich öffnen müssen.“ In Potsdam sind auf jeden Fall alle Weiblichkeiten willkommen.


Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem aktuellen Verbandsmagazin zum Thema: Gemeinnützig arbeiten. Wer in einer Paritätischen Einrichtung arbeitet, arbeitet nicht irgendwo. Denn unsere Mitgliedsorganisationen sind gemeinnützig. Ganz kurz gesagt bedeutet das: Anders als auf dem sogenannten Freien Markt steht bei ihnen nicht das Geld an erster Stelle, sondern der Mensch. Gewinne müssen wieder reinvestiert werden und dürfen nicht an Vorstände oder Aktionäre abgegeben werden. Doch hinter der Gemeinnützigkeit steckt viel mehr als nur eine Rechtsform. Dahinter steckt ein Verständnis von Arbeit, die nicht nur profitorientiert ist und der alte Mensch, das Kita-Kind, die behinderte Person etc. nicht als Renditeobjekt angesehen wird.

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Portrait von Philipp Meinert

Philipp Meinert

Philipp Meinert verantwortet beim Paritätischen Gesamtverband den Bereich Presse und Redaktion. Für das Verbandsmagazin des Paritätischen Gesamtverbandes schreibt er Artikel und führt Interviews.

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