Mit dem Jahreswechsel besteht das Bürgergeld seit einem Jahr. Mit seiner Einführung war der Anspruch verbunden worden, Hartz IV zu überwinden und einen echten Neubeginn zu wagen. Von Anfang an bestanden Zweifel daran, dass sich in der Praxis viel mehr als nur der Name ändert. Heute sehen wir: Diese Befürchtungen waren berechtigt.

Noch am 15. Dezember 2023 veröffentlichte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil einen eigenen Rückblick auf annähernd ein Jahr Bürgergeld. Er sah darin auch „attraktive finanzielle Anreize: (…) Für die Teilnahme an Maßnahmen, die für die nachhaltige Arbeitsmarktintegration wichtig sind, werden 75 Euro monatlich gezahlt." Zu diesem Zeitpunkt hatten die führenden Köpfe der „Ampel“  sich bereits seit zwei Tagen darauf verständigt, dass der erst zum 1. Juli 2023 eingeführte sog. Bürgergeld-Bonus im neuen Jahr bereits wieder Geschichte sein soll. Gleichzeitig beschlossen die Koalitionspartner, die Sanktionen im Bürgergeld nochmals zu verschärfen. Die Bundesregierung kassiert damit schon vor Ablauf des ersten Jahres das mit dem Bürgergeld verbundene Versprechen, künftig die Förderung der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen, wieder ein. Mit der gleichzeitigen Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten werden die positiven Signale, die mit der Einführung des Bürgergeldes verbunden waren, konterkariert. Eigentlich sollte Misstrauenskultur in den Jobcentern überwunden und das Förden in den Vordergrund gestellt werden. Diese Vorsätze währten nur kurz.

Schon der im Sommer Bundeskabinett verabschiedete Haushaltsentwurf 2024 sah eine Kürzung der Mittel für die Arbeitsmarktintegration um 200 Millionen Euro auf 4,2 Milliarden Euro vor. Zudem drohen auch im nächsten Jahr Teile der Mittel für steigende Verwaltungskosten benötigt zu werden. Die zusätzlichen Kürzungsbeschlüsse verringern die Gestaltungsräume weiter. Trotz wachsender Bedarfe und steigender Langzeitarbeitslosenzahlen wird ausgerechnet bei nachhaltiger Qualifizierung und Arbeitsmarktintegration gekürzt. Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück.

Skandalöse Kampagne gegen die Ärmsten

Das Bürgergeld wurde in den vergangenen Monaten auch noch Gegenstand einer Kampagne, die regelmäßig mit falschen Zahlen, irreführenden Aussagen und Klischees arbeitet, um die Leistung und die Berechtigten zu diskreditieren. Zur Diskussion und nach Auffassung nicht weniger auch zur Disposition stehen die existenzsichernden Leistungen von etwa 5,5 Millionen Menschen. Darunter sind zahlreiche Kindern und über eine Million Menschen in Mindestsicherungsleistungen. Wenn es angeblich nicht mehr für alle reicht, soll immer zuerst bei den Ärmsten gespart werden. Das ist und bleibt ein Skandal. Es fügt sich aber in das Bild einer Gesellschaft, die seit Jahren von Armut und Ungleichheit auf Rekordniveau gespalten wird, ohne dass die Bundesregierung daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen hätte. Die kann nur lauten: Umverteilen, und das von oben nach unten!

Das Bürgergeld bleibt in elementaren Bereichen rückwärtsgewandt und zukunftsblind. Rückwärtsgewandt, weil mit seiner Einführung das befristete Sanktionsmoratorium vorzeitig beendet und die schwarze Pädagogik des Sanktionsregimes wieder eingeführt wurde. Dies geschah, obwohl gezeigt wurde, dass Sanktionen nichts nutzen. Im Gegenteil: Menschen konnten langfristig weniger nachhaltig in Arbeit und dabei in schlechtere Jobs vermittelt werden. Rückwärtsgewandt, weil die schweren methodischen Mängel der Regelsatzbemessung nicht überwunden, sondern fortgeschrieben wurden. Rückwärtsgewandt ist auch das Verfahren der Regelsatzbemessung. Die Regelsätze für das laufende und das folgende Jahr beruhen noch auf den Ergebnissen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2018, die bereits schon mit Daten aus der Vergangenheit fortgeschrieben wurde. Kommende Preiserhöhungen, etwa durch den Wegfall der Strompreisbremse, bleiben außer Betracht. Zukunftsblind sind die Regelungen, weil die für die Arbeitsmarktintegration hinterlegten Mittel in keiner Weise ausreichen, um das Förderversprechen der Bundesregierung einzulösen. Nur etwa sechs Prozent der Bürgergeldberechtigten, die einen Job finden, werden durch die Bundesagentur für Arbeit vermittelt. Diese macht damit weder ihrem Namen noch ihrem Auftrag die Ehre. Arme Kinder leben immer in armen Familien. Die Debatte um das Bürgergeld ist deshalb nicht von der um die Kindergrundsicherung zu trennen. Mit den gegebenen Mitteln ist zu befürchten, dass eine so konzipierte Kindergrundsicherung an der hohen Kinderarmut nur wenig ändert, aber zusätzliche Bürokratie schafft.

Wir brauchen gute Löhne und ein armutssicheres Bürgergeld

Oft hören wir auch immer wieder vom Lohnabstandsgebot. Bei genauerer Betrachtung geht die Debatte in die falsche Richtung. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2010 betont, dass das soziokulturelle Minimum in jedem Fall garantiert werden muss. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Lohnabstandsgebot gestrichen. Mit der Einführung und Erhöhung des Mindestlohns und dem Ausbau des Wohngeldes, das zum Jahresbeginn im Durchschnitt von 180 auf 370 Euro im Monat verdoppelt und dessen Anspruchsberechtigte sich verdreifacht haben, wurden Schritte unternommen, einen Lohnabstand durch Erhöhung der Einkommen von Erwerbstätigen sicherzustellen. Dieser Weg muss fortgesetzt werden, mit einem Mindestlohn von zumindest 14 Euro und hohen Primäreinkommen. Der derzeit diskutierte Weg, den Lohnabstand zu Lasten der Ärmsten und der Erwerbstätigen gleichermaßen herzustellen, ist ein Irrweg. Anders gesagt: Das Gebot darf nicht lauten, bei den Leistungsbeziehenden zu kürzen, sondern den viel zu niedrigen Lohn derjenigen zu erhöhen, die arbeiten.

Ein Bürgergeld, das seinen Namen verdienen will, muss sanktionsfrei sein und Armut überwinden. Der Paritätische hat zum Jahresende in einer Expertise nachgewiesen, dass der Regelsatz 2024 auf mindestens 813 Euro angehoben werden müsste, um Armutssicher zu sein. Mit der angekündigten Abschaffung der Energiepreisbremse und den absehbar steigenden Strompreisen wachsen die Bedarfe im nächsten Jahr zusätzlich. In dieser Situation darf es kein Zurück geben. Eine vorwärtsgerichtete Sozialpolitik muss alles daran setzen, Armut abzuschaffen, umzuverteilen und ein hohes Einkommensniveau in der Breite zu sichern. Das wäre eine Sozialpolitik mit Zukunft und für die Zukunft.

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Portrait von Dr. Joachim Rock

Dr. Joachim Rock

Dr. Joachim Rock ist Leiter der Abteilung "Arbeit, Soziales und Europa" beim Paritätischen Gesamtverband.

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