Die Aufklärung über Geschlechtskrankheiten, besonders HIV und AIDS, hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich gewandelt. In den Achtzigern, als HIV noch fast zwangsläufig zu einer AIDS-Infektion und zum sicheren Tod führten, waren die Mittel oft dementsprechend deutlich: Die ersten AIDS-Aktivist*innengruppen wie ACT UP oder Queer Nation trugen in den USA Grabsteine mit den Namen von AIDS-Toten. In den Neunzigern änderte sich wieder etwas im Erscheinungsbild. AIDS war nach wie vor eine tödliche Krankheit, aber die Ansprache änderte sich. Humor war erlaubt. Hella von Sinnen, die als schrille Kassiererin im Supermarkt mit ihrem Ausruf „Tinaaaa, wat kosten die Kondome?“ einen verklemmten Kunden bloßstellte, ist bis heute bekannt.

Sister Mary Clarence

Seit gut 20 Jahren ist HIV kontrollierbar. Zum Ausbruch von AIDS kommt es mit den richtigen Medikamenten nicht mehr und auch das Kondom ist nicht mehr der einzige Schutz vor Ansteckung. Das verändert auch die Präventionsarbeit, besonders in der schwulen Community, nach wie vor eine Gruppe, die durch Prävention besonders angesprochen werden müssen. Selbstverständlich stellt HIV immer noch eine große Bedrohung dar, aber die heutige Generation schwuler Männer hat den AIDS-Schock nicht mehr erlebt. Beide Faktoren erlauben auch trotz der Ernsthaftigkeit des Themas eine niedrigschwellige und kreative Ansprache.

Als Nonne in der queeren Szene

So macht es Sister Mary Clarence, und zwar in Gestalt einer Ordensschwester. Dabei trägt sie dabei einen Habit, eine Nonnentracht. Allerdings keine klassische schwarzweiße Tracht, sondern einen bunten, oft glitzernden Habit mit zahlreichen Ansteckern verziert, dazu ein weiß geschminktes Gesicht. Natürlich ist sie keine katholische Geistliche, die in einem Kloster lebt, sondern als queere Nonne in der Berliner Szene unterwegs. Die Idee, in dieser Form Aufklärung zu betreiben, entstand bereits in den späten Siebziger Jahren in San Francisco, als sich die Sisters of Perpetual Indulgence gründeten. „Wir haben uns entschieden, die Attribute der Ordensschwestern zu übernehmen, die bei Ihrem Gelübte versprochen haben für Menschen da zu sein, die Hilfe und Geborgenheit brauchen“, erklärt Sister Mary Clarence an Antrieb für ihre Arbeit. Als Schwestern der Perpetuellen Indulgenz gründeten sich auch ab den frühen Neunzigern diverse Orden in Deutschland. 2013 gründete Sister Mary Clarence das House of Queer Sisters 2013 in Berlin, mit dem heiligen Segen einer Gründungsschwester aus San Francisco. Beide Orden kümmern sich um den Bereich Gesundheitsprävention, beim House of Queer Sisters kommt noch Behinderten- und Flüchtlingshilfe sowie der Bereich Menschenrechte hinzu sowie Bildung: „Wie bieten auch Fortbildungen und Seminare an, bei denen Ärztinnen und Ärzte referieren zu den Themen HIV, AIDS, STIs und Hepatitiden.“ Tatsächlich geht es bei der Aufklärung nicht nur um die nüchterne Erklärung medizinischer Fakten.

Auch Geflüchtete gehören zur Community

Die Queer Sisters stellen auch ein Angebot für diejenigen, die sie nicht in den Treffpunkten der Szene finden. Gerade queere Geflüchtete sind oft noch besonderen Repressionen ausgesetzt, auch durch die eigenen Landsleute. Für queere Geflüchtete betreibt unter anderem die Schwulenberatung eigene Unterbringungsmöglichkeiten. Die Probleme fangen da oft schon mit der Ansprache an: „Vielen muss vorher gesagt werden, dass sie zu uns, also zur LGBTIQ-Community gehören. Die können nicht einfach sagen, dass sie schwul oder lesbisch sind“, erklärt Sister Mary Clarence. Ein Outing ist in vielen Herkunftsländern keine Selbstverständlichkeit. „Für viele ist auch schwierig, einfach zur AIDS-Hilfe zu gehen, wenn sie sich testen lassen wollen. Es könnte sie ja einer ihrer Landsleute dabei beobachten, wie sie reingehen“, erklärt Sister Mary Clarence. Daher vermittelt das House of Queer Sisters auch Ärztinnen und Ärzte, die zum Beispiel mal Blut für den HIV-Test abnehmen. Aber warum der Habit, frage ich. Sie könne doch auch ganz normal in Jeans und T-Shirt für einen Präventionsverein arbeiten. Doch sowohl für Sister Mary Clarence als auch deine Klient*innen habe der Look Vorteile, erklärt sie: „Es ist leichter, im Habit und geschminkt auf die Leute zuzugehen. Mit der Schminke verschwindet man in eine Rolle. Und anderen wiederum fällt es leichter, mit mir in Kontakt zu kommen, weil man weiß nicht direkt, wer unter der Schminke steckt“, erklärt sie. Außerdem sei sie sowieso schon immer jemand gewesen, der sich sehr gerne schminkt. Das Schöne mit dem Nützlichen verbinden, also.

Keine Probleme mit Katholik*innen

Aber wie kommt ihr Outfit eigentlich bei gläubigen Katholik*innen an, die so etwas als Beleidigung empfinden könnten? „Bis heute haben wir mit den katholischen Ordensschwestern keine Probleme gehabt,“ meint Sister Mary Clarence. Und bei einigen Ordensschwestern sei es ja so, dass sie in Kliniken oder Hospizen arbeiten und so auch Menschen mit HIV/AIDS betreuen. So weit weg ist man da gar nicht vom historischen Vorbild. Und wenn doch jemand frage warum, werde die Absicht erklärt und man gehe mit einem Lächeln auseinander.


Das Verbandsmagazin "Queer" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Queer" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns mit den Bedürfnissen queerer Menschen und queerer Arbeit beim Paritätischen. Es gibt Reportagen und Berichte über Schwule und Lesben mit Behinderung, queeres Leben im Alter und auf der Flucht und über Aufklärungsarbeit in ungewöhnlicher Form. Wir haben Interviews über Prävention, queere Bildung, die erste queere KiTa in Berlin. Wir sprachen mit Christel über das Trans-Coming Out ihres Mannes und mit Queen of Drags-Teilnehmerin Vava Vilde über ihre Arbeit als Aktivistin. Unsere Journalistin hat sich außerdem in einer traditionsreichen queeren Einrichtung in Rostock umgeschaut.

Natürlich gehen wir auch ganz aktuell auf die Auswirkungen von Corona in der Wohlfahrt ein und haben dazu einige Stimmen eingesammelt. Und das Neueste aus dem Gesamtverband gibt es auch.

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Portrait von Philipp Meinert

Philipp Meinert

Philipp Meinert verantwortet beim Paritätischen Gesamtverband den Bereich Presse und Redaktion. Für das Verbandsmagazin des Paritätischen Gesamtverbandes schreibt er Artikel und führt Interviews.

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