Sie bringen den Spaß dahin, wo er oft nicht zuhause ist: In Krankenhäusern, in Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen. Und das machen die Bremer Klinikclowns schon seit über 20 Jahren. Wir sprachen mit Julia Wiegmann alias Clownfrau "Wilma" über ihre Arbeit.

Frau Wiegmann, wie sind Sie Klinikclown Wilma geworden?

Das ist eine längere Geschichte. Ich mache das schon über zwanzig Jahre. In meinem ersten Beruf habe ich in den achtziger Jahren Krankenschwester gelernt und war weit entfernt von jeglicher Clownerie. Danach habe ich ein Studium in Bonn, Hamburg und Bremen begonnen, bin dann in Bremen gelandet und habe Psychologie studiert. Weil ich neu in Bremen war, habe ich den Tipp einer guten Freundin beherzt und bin zum Freiraumtheater gegangen. Dort habe ich den Kurs „Der individuelle Clown“ belegt. Das hat mir erstmal alles gar nichts gesagt, aber es hat mich von da an eigentlich gar nicht mehr losgelassen. Das war am Anfang nur reines Hobby. Als ich mit dem Studium fertig war, kannte ich bereits eine Schule in Hannover, die zum Bühnenclown ausbildet. Dort habe ich mich beworben und im Anschluss an das Studium eine dreijährige Ausbildung zum Bühnenclown gemacht. Aber ich wusste damals schon, dass ich nicht ausschließlich Bühnenclownin werden will. Ich hatte bereits gehört, dass es Klinikclowns gibt. Das wuchs hier gerade in Deutschland und Europa. In Bremen habe ich glücklicherweise eine Kollegin getroffen, die das auch machen wollte. Wir haben uns zusammengetan und 2001 den Verein gegründet. Auch deshalb, damit wir Gelder akquirieren können, um diese Arbeit zu bezahlen. So ging es langsam los und ich bin da so reingewachsen. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her und macht immer noch sehr viel Spaß.

Warum das Konzept Clown? Können Sie die Besonderheit erklären, warum man die Ausdrucksform gewählt hat?

Es gibt ja verschiedene Bereiche. Wir gingen zuerst zu den Kindern, aber schon sehr bald nach den Kinderkliniken haben wir in Seniorenheimen, Pflegeheimen mit Demenzerkrankten angefangen. Wir gehen zu Demenzerkrankten Menschen, zu Menschen mit Behinderungen in Therapieeinrichtungen und in Hospize. Der Clown ist eine Figur, die sehr kindlich im Sinne von spontan, unmittelbar und emotional reagiert. Der Clown plant nicht. Der Clown hat keine Logik im Sinne von „das habe ich gestern gesagt und das muss ich heute genauso stringent weiterverfolgen“, sondern der Clown lebt im Moment, im hier und jetzt, wenn’s gut läuft und nimmt Momente war und verwandelt die spielerisch auf die Gefahr hin, dass es schief geht, was beim Clown oftmals das Konzept ist, dass es nicht so klappt. Das ist für Kinder eine große Nähe, eine große Freundschaft. Kinder werden in der Regel sehr emotional, spontan und unmittelbar reagieren. Da werden die Clowns sehr schnell sehr dicke Freunde und die Kinder können sich in der Figur des Clowns in gewisser Weise widerspiegeln. Der Clown übernimmt für sie auch Emotionen. Gleichzeitig können die Kinder aber auch erkennen, dass die Clowns keine Kinder sind. Er ist wie eine Mittlerfigur. Das kommt sehr gut an.

Die Frage war ja damals, wie man Demenzerkrankten oder überhaupt mit pflegebedürftigen Menschen umgeht. Das ist auch ein spannendes Thema. Da haben wir auch schnell gemerkt, das ist eine super Begegnung zwischen Clown und dieser Menschengruppe. Und gerade mit Demenz fühlen sich die Menschen eher ernst genommen, als dass sie sich veralbert fühlen. Der Clown ist im Hier und Jetzt und bewertet nicht das Demenzgeschehen. Er geht sozusagen immer mit dem mit, wo der Mensch mit der Demenz gerade ist. Also es ist überhaupt kein Korrigieren beim Clown oder ein Runzeln oder eine Skepsis. Das merken die Menschen. Sie merken, dass sie für vollwertig genommen werden mit ihrem Sein, auch wenn die Sprache nicht mehr funktioniert oder die Gedankengänge abbrechen. Das ist dem Clown in dem Moment egal, das kennt er ja von sich selber so von seiner Figur. Und das ist ein tolles Prinzip, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Die Bremer Klinikclowns. Julia "Clownfrau Wilma" Wiegmann ist die mit dem gelben Hut in der Mitte. © Tine Casper / Bremer Klinikclowns e.V.

Und was passiert genau, wenn der Clown oder die Clowns vorbeikommen in der Einrichtung oder im Krankenhaus? Wie läuft das ab?

Wir gehen in der Regel als Duo. Bevor wir überhaupt starten gehen wir privat zum Pflegepersonal und lassen uns eine Übergabe geben, also Informationen dazu, was uns erwartet, wo Hygienemaßnahmen erforderlich sind. Bei Kindern vielleicht auch, welches Kind hat gerade Geburtstag, wie alt es ist, wo Geschwisterkinder sind und welche Beeinträchtigungen es gibt. Das sind Informationen, die für uns Clowns wichtig sind. Prognose und Diagnose ist nicht so wichtig. Es ist eher hinderlich zu viel zu wissen. Aber es ist wichtig, zu wissen, worauf wir uns einstellen müssen. Dann verwandeln wir uns in unsere Clownsfigur mit Schminke und Clownskleidung und machen gemeinsam ein körperliches Warm-up. Der Clown ist ja eine sehr körperlich aktiv agierende Figur. Wir haben da bestimmte Spiele oder Übungen und dann geht’s los! Wir gehen auf den Flur und das Spiel beginnt in dem Moment, wo wir aus der Tür gehen. Alle Menschen, denen wir begegnen, sehen einen Clown und sehen nicht mehr eine Privatperson, die sich als Clown verkleidet hat. Sie sehen schon die Figur. Wir besuchen die Menschen da, wo sie sind, gehen von Zimmer zu Zimmer. Wir klopfen an und gucken, ob wir reinkommen dürfen. Das ist das oberste Gebot. „Dürfen wir reinkommen?“ Wir platzen nicht einfach rein und missachten Grenzen. Wir spüren auch, ob wir hier willkommen sind. Wieviel Abstand ist nötig? Bleibt man vielleicht nur in der Tür oder kann man gleich einmal durchlaufen und aus dem Balkon wieder raus? Es gibt da tausende Möglichkeiten und die trainieren wir auch ständig. Das Gefühl dafür, ob wir willkommen und mit welchem Spiel, mit welchem Angebot, ist ganz wichtig. Wieviel Nähe und Distanz braucht es, wieviel Augenhöhe? Wenn beispielsweise kleine Kinder auf dem Boden sind, würde man sicherlich auch die Bodennähe suchen, um das Gefälle nicht so groß zu machen. Und dann beginnt das Spiel. Das ist immer individuell, das ist immer auf die Situation angepasst, die wir vorfinden. Wir spielen kein Repertoire, das wir vorher einstudiert haben. Aber natürlich haben wir Routinen, also wir wissen auch was funktioniert wo ganz gut, aber wenn´s richtig gut läuft, plant man überhaupt nicht. Dann schaut man, was in dem Moment entsteht.

Sie haben es gerade schon ein bisschen angedeutet, eine Diagnose ist eher hinderlich, aber wie schützen Sie sich davor es vielleicht an sich ran zu lassen? Wie können Sie fröhlich bleiben, wenn Sie vielleicht jemanden vor sich haben, der Krebs hat?

Clowns sind geschützt durch die rote Nase. Das kann man nur verstehen, wenn man es erlebt hat. Es ist ein anderer Modus mit dieser Nase und dieser Figur – nämlich der Modus des im Moment sein. Das ist gerade für Anfänger sehr anstrengend, denn dieses voll präsent sein, hält man nicht lange durch. Aber das Kostüm schützt. Und ich sehe nicht das ganze Elend, sondern ich sehe einen Moment. Ich sehe den Moment in dem Zimmer, mit den Kindern, mit den Menschen, mit den Eltern. Aus diesem Moment schaffen wir Schönes, Spielerisches, Fantastisches, Phantasievolles, Wunderbares, Zauberhaftes. Dann gehen wir wieder und hinterlassen etwas. Meistens etwas sehr Schönes und Lustiges. Der Clown muss ja auch nicht immer fröhlich sein, sondern ist ja dazu da, andere fröhlich zu machen. Ein Clown kann ja alle Gefühle bespielen. Ich kann durchaus auch ein ganz müder, ein neidischer oder trauriger Clown sein.

Wenn ich dann später wieder in der Umkleide bin, gehe ich aus der Nase raus und schminke mich ab. Dann bin ich privat und dann bleibt das alles da. Natürlich dringt auch manchmal was durch und wir nehmen auch Sachen mit. Dann können wir darüber sprechen, weil wir auch zu zweit sind und weil wir uns auch regelmäßig in Teams treffen und unsere Erlebnisse austauschen.

© Kerstin Haase / Bremer Klinikclowns e.V.

Die Bremer Klinikclowns gibt es jetzt schon seit zwanzig Jahren, haben Sie da auch eine besonders schöne Geschichte aus dieser Zeit, die Sie mit uns teilen können?

Ein Erlebnis zum Beispiel mit einer demenzerkrankten Frau ist mir sehr nachhaltig in Erinnerung geblieben. Das stammt aus einer frühen Zeit, als ich noch nicht viel Erfahrung hatte. Ich war als Wilma gemeinsam mit meinem Kollegen Kurt in einer Alterseinrichtung. Da saß eine Dame am Tisch und ich war allein mit ihr. Kurt war irgendwo anders. Sie hat mir zugewandt gesprochen, aber es hat – sagen wir mal in unserer Welt – keinen Sinn ergeben, was sie sagte. Es waren aneinander gereihte Sätze, die wahllos, spontan und irgendwie assoziiert waren. Sie ergaben keinen logischen Sinn. Ich habe mich dazu gesetzt und mich genau auf diese Weise mit ihr unterhalten, habe also spontane Sätze assoziiert, das hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, muss ich sagen, habe mich mit treiben lassen. Dann haben wir eine Zeit dort gesessen und mein Kollege kam dazu, hörte sich das an und sagte: „Wilma, was redest du denn da?“ Und dann hat die Frau aufgemerkt, Leni hieß sie, und sagte „Der versteht uns nicht!“ Das war für mich so bezeichnend für das, was da passierte. Wir haben uns so prächtig verstanden, ohne dass es irgendein anderer hätte inhaltlich nachvollziehen können. Und da wusste ich, ich bin am richtigen Ort. Das war nachhaltig und eine richtig schöne Sache.

Auch mit Kindern gibt es so wahnsinnig viele Geschichten. Es ist schön, wenn man etwas findet, ohne dass die ganz großen Requisiten dabei sein müssen. Auch wir Clowns denken immer, wir müssten Neues produzieren, sonst wird es schnell langweilig und uninteressant. Dann holen wir noch dies raus und das raus und zeigen, was wir alles können. Das ist gar nicht immer so toll. Das überfordert die Kinder eher. Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit ein Erlebnis mit einem Kind, dass dieses Phänomen ganz gut beschreibt. Da war ich auch wieder mit Kurt unterwegs und ich hatte eine Triangel dabei. Eigentlich wollte ich mit dieser Triangel eine Kunststück anstoßen, welches mein Kollege vorbereitet hatte. Der Junge saß im Bett und guckte ganz gespannt. Ich hab´ dann die Triangel gehauen und Kurt, der neben Wilma stand reagierte körperlich extrem. Der Ton hatte ihn richtig an die Wand befördert – er ist halb durchs Zimmer geflogen, weil es so laut war. Da musste der Junge so lachen und dann haben wir nichts anderes gemacht, als dieses Spiel zu wiederholen. Immer wieder in allen Variationen. Wilma will was ansagen und Kurt fliegt durchs halbe Zimmer. Ich kam nicht zu meinem Kunststück, der Junge wollte nur das immer wieder sehen.


 


Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Wohlfahrt kreativ" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Bei Wohlfahrt denken viele zuerst an Altenpflege, Kinderbetreuung oder Hilfe für ärmere und kranke Menschen. Das ist alles zweifellos richtig und vor allem wichtig. Doch die Arbeit in der Wohlfahrt ist auch bunt und kreativ.

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