„Kopf hoch, das wird schon wieder, denk doch mal positiv!“ Wer kennt sie nicht, diese Sprüche, die nett gemeint sind, aber nicht wirklich helfen? Bei der Online- und Telefonberatung kopfhoch.de des Kinderschutzbund Regensburg ist der Name jedoch Programm: Kinder und Jugendliche, die nicht mehr weiterwissen, bekommen kostenlos und anonym Hilfe.

„Bei Kopfhoch habe ich das Gefühl, dass ich ernst genommen werden“, schreibt Marie* (15 Jahre) im Chat. „Es ist gut, dass schnell jemand erreichbar ist und ich einfach übers Handy schreiben kann.“ Wann, wo und wie – das entscheiden bei der anonymen Online- und Telefonberatung für Kinder und Jugendliche kopfhoch.de die Klient*innen selbst. Auch Sissi* (18 Jahre) schätzt an dem Chatformat viele Dinge: dass man Probleme nicht laut aussprechen muss, dass man den anderen nicht sieht, dass man selber entscheiden kann, wann man antwortet. Und „dass man Themen erzählen kann, die man sonst niemandem erzählen möchte – also auch nicht der besten Freundin“, schreibt sie.

Das Gefühl, mit den eigenen Problemen und Sorgen allein zu sein, haben viele Kinder und Jugendliche, die sich bei kopfhoch.de melden. Und es ist nicht nur ein Gefühl, sondern leider auch Realität. „Natürlich fragen wir in unseren Beratungen auch immer nach, ob es im direkten sozialen Umfeld jemanden gibt, der in der schwierigen Lebenssituation unterstützen und helfen kann: Freundinnen, Kumpels, Geschwister, Eltern“, sagt Anna Wachter, Projektleitung bei kopfhoch.de. „Doch häufig ist da wirklich niemand. Manche sorgen sich um den ,Imageverlust‘, bei anderen werden die Probleme vom sozialen Umfeld nicht verstanden oder klein geredet. Zum Beispiel beim Thema Magersucht. Da hören junge Mädchen von Freundinnen dann schon mal: ,Ich weiß gar nicht, was Du hast? Ich wäre froh, wenn ich so dünn wäre, wie Du!‘“

Warum haben andere Menschen, Erwachsene und unsere Gesellschaft oft kein Ohr für die Sorgen, Probleme und Wünsche von jungen Menschen? „Jeder hat mit seinen eigenen Problemen zu tun“, meint Marie. Auch ihre Freund*innen, sagt sie. Und diese Probleme nehmen zu: Die Copsy Studie zeigt zum Beispiel, dass in Folge der Corona-Pandemie und den Einschränkungen wie den Lockdowns die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen stark angestiegen ist. Vor allem junge Mädchen waren besonders betroffen von zunehmender Ängstlichkeit, Depressivität und psychosomatischen Beschwerden. So haben sich bei kopfhoch.de die Beratungsanfragen am Telefon von 2020 auf 2021 verdoppelt. Auch die Gesamtzahl der Anfragen für Online-Beratung über die Webseite und den Messenger nimmt zu. „Die Zahlen der akuten Krisen, wie Suizidalität, und der Belastungen durch die Pandemie sind deutlich gestiegen“, berichtet Anna Wachter.

Gerade für die Begleitung in schweren Lebenskrisen wie zum Beispiel bei Suizidgedanken, selbstverletzendem Verhalten, Depressionen oder Drogenkonsum eignet sich, in der Erfahrung der Kopfhoch-Fachkräfte, der Einzelchat besonders gut. „Denn hier braucht es nicht nur eine kontinuierliche und verlässliche Beratung,“ sagt Anna Wachter. „Manche Probleme brauchen einfach mehr Zeit, um an die Oberfläche zu kommen. Mehr Zeit, bis junge Menschen bereit sind, darüber zu sprechen bzw. zu schreiben.“ Das beschreibt auch Sissi so: Ihr hilft manchmal, dass man auf eine Frage nicht sofort antworten muss und Zeit hat, über Dinge nachzudenken und eigene Lösungen zu entwickeln, schreibt sie. Gleichzeitig stellt sie klar, wie wichtig für sie das Gegenüber im Chat ist, dass es „mehr ist, als nur die Gedanken in ein Tagebuch zu schreiben, da man eine Antwort bekommt“. Und damit mit seinen Problemen nicht allein bleibt.

Warum es so schwer ist, über manche Probleme offen zu sprechen, hat auch mit dem Bild zu tun, das unsere Gesellschaft von jungen Menschen hat, meint Sissi: „Ich finde, es kommt auf die Einstellung der Person an. Aber ganz verallgemeinert finde ich, dass vor allem Menschen über 50 noch sehr in dem Mindset ‘Jung = Gesund‘ stecken.“ Bestimmte Sorgen und Probleme werden ihrer Meinung nach jungen Menschen von unserer Gesellschaft einfach nicht zugestanden – und damit auch nicht ernst genommen. Gerade psychische Erkrankungen werden bei jungen, aber auch bei älteren Menschen tabuisiert. „In der Millennial Generation merkt man langsam, dass mentale und somatische Krankheiten anerkannt und akzeptiert sowie enttabuisiert werden. Also denke ich, wir sind auf einem guten Weg. Aber die breite Masse versteht es noch nicht“, sagt sie.

Und wenn sie an ihre Zukunft denken: Wovon träumen Marie und Sissi? Was wünschen sie sich? „Ich hoffe, ich schaffe die Schule und kann einen Beruf lernen, der mir Spaß macht“, schreibt Marie. Sissi nennt zwei Dinge: den Mut haben, sich einen Therapieplatz zu suchen. Und dass ihre Eltern, vor allem ihre Mama, ihre psychische Erkrankung endlich als Krankheit anerkennen. Ob alle Wünsche in Erfüllung gehen? Das bleibt offen. Aber dass beide mit der Unterstützung von kopfhoch.de ihren eigenen Weg gehen und den Kopf hochhalten werden – das ist sicher!

 *Namen von der Redaktion geändert

Stress mit den Eltern, Ärger in der Schule, Probleme mit Freunden, Liebeskummer…

Das kennt fast jede*r! Doch auch Themen wie selbstverletzendes Verhalten, sexualisierte Gewalt, Depressionen, Suizidgedanken, Mobbing und Drogenkonsum sind keine Seltenheit bei Jugendlichen und führen oft zu schweren Krisen. Da nicht jeder junge Mensch sich in der Familie, bei Freunden oder bei Fachkräften im Umfeld Hilfe holen kann oder will, gibt es das Angebot kopfhoch.de des Kinderschutzbund Regensburg.

Kopfhoch.de ist eine Online- und Telefonberatung für Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre in der Oberpfalz. Zwei Projektleiterinnen werden unterstützt von einem Team aus rund 40 ehrenamtlichen Berater*innen, alles psychologische und pädagogische Fachkräfte.

Kopfhoch.de vertritt das Beratungsverständnis „Hilfe zur Selbsthilfe“. Mit Ansätzen aus der systemischen Beratung, der klientenzentrierten und der motivierenden Gesprächsführung unterstützt und begleitet die Online- und Telefonberatung Kinder und Jugendliche dabei, ihren eigenen Weg aus Problemsituationen heraus zu finden.

Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite von kopfhoch.de unter https://kopfhoch.de/

Mehr Beiträge zum Thema Jugendbeteiligung in der aktuellen Ausgabe des Verbandsmagazins mit dem Titel "Jugend partizipiert des Paritätischen Gesamtverbandes!

In dieser Ausgabe wollten wir nicht nur über die Jungen schreiben, sondern sie in erster Linie selbst zu Wort kommen lassen. Deswegen stellen sich zahlreiche Engagierte aus unseren Mitgliedsorganisationen vor, geben Interviews und berichten von ihrem Alltag. Wir fragten nach ihren Gründen für ihr Engagement und bekamen spannende Antworten. Dazu waren wir in einem queeren Jugendzentrum in Köln, in einem Skatepark in Berlin-Marzahn und haben uns in Moabit umgesehen, was Jugendlichen dort geboten wird. In unseren Interviews geht es um Diskriminierungen, aber auch Empowerment und Engagementmöglichkeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei, wie bei unserem Aktionsmonat auf den digitalen Medien wie TikTok und wie junge Menschen sich konstruktiv im Netz bewegen können und welche Gefahren lauern.

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Portrait von Der Paritätische Bayern

Der Paritätische Bayern

Alix Veh ist Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Lena Weihmayer ist Referentin für Kinder, Jugend, Bildung beim Paritätischen Bayern.

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