Refugio - psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge e.V. ist ein Beratungs- und Behandlungszentrum für geflüchtete Menschen. Die psychosoziale und therapeutische Behandlung richtet sich insbesondere an Menschen, die noch nicht lange in Deutschland sind und aufgrund der rechtlichen Situation am Zugang zu Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind. Im Interview spricht Marc Millies, Teil des Leitungsteams, über die Möglichkeiten und Herausforderungen, die Refugio als gemeinnützige Einrichtungen hat.

Marc Millies

Was macht die gemeinnützige Arbeit von Refugio - psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge e.V. besonders?

Refugio konzentriert sich darauf, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für Personen anzubieten, die in den herkömmlichen Gesundheitssystemen häufig marginalisiert werden. Als gemeinnützige Organisation haben wir seit über 30 Jahren das Ziel, die Gesundheitsversorgung so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Ein wichtiger Bestandteil dabei ist die Sprachmittlung. Das heißt, bei der Ankunft von Geflüchteten ist es nicht nur wichtig, ihre Erfahrungen und Bedürfnisse in Bezug auf ihre Herkunftsländer und Fluchtgeschichte zu berücksichtigen, sondern auch zu schauen, wie kann angemessene Gesundheitsvorsorge dabei helfen, Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern, indem sie den Zugang zu Bildung, Arbeit und Ausbildung erleichtert. Denn es ist eben auch eine Gemeinwohlaufgabe, allen die Teilhabe an der Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

Unser Zentrum ist für alle Menschen zugänglich, unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel. Wir verfügen über eine offene Kommunikationsstruktur, die keine Überweisungen, behördlichen Anordnungen oder Empfehlungen erfordert. Die Teilnahme ist also in hohem Maße partizipativ: Jedes Individuum entscheidet eigenverantwortlich, unsere Dienste in Anspruch zu nehmen und über alle weiteren Schritte, sei es Beratung oder therapeutische Angebote. Sollte die Zusammenarbeit aus verschiedenen Gründen nicht funktionieren, besteht jederzeit die Möglichkeit, das Angebot ohne Sanktionen zu beenden.

Unser Ansatz ist multimodal und bietet eine breite Palette an Unterstützungsmöglichkeiten. Ein klassisches Modell beinhaltet ein psychotherapeutisches Setting, in dem Klient*in, Therapeut*in und Dolmetscher*in gemeinsam arbeiten. Nach einem Erstgespräch und einer anschließenden Diagnose wird evaluiert, ob ein Vertrauensverhältnis etabliert werden konnte und ob die weitere Zusammenarbeit für alle Beteiligten sinnvoll ist. Hierbei liegt der Fokus darauf, ob die Klient*innen bereit sind, sich mit sensiblen und oft schmerzhaften Themen auseinanderzusetzen.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die ressourcenorientierte Herangehensweise. Zunächst identifizieren wir die individuellen Stärken, Fähigkeiten und Interessen der Klient*innen. Unser Ziel ist es, ein Gefühl von Wohlbefinden und Selbstermächtigung zu fördern, um gemeinsam diese Potenziale zu stärken und sichtbar zu machen. Im besten Fall führt dies zu stabilisierenden Momenten in Zeiten psychischer Belastung, etwa durch verbesserte Schlafqualität, gesteigerte Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit, soziale Beziehungen aufzubauen. Dies ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen von Bedeutung, die sich in schulischer oder beruflicher Ausbildung befinden.

Welche Herausforderungen haben gemeinnützige Einrichtungen wie Ihre aktuell?

Um unsere Angebote kostenlos anzubieten und gleichzeitig professionelles Personal zu beschäftigen zu können, sind wir von verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten abhängig. Wir werden nicht primär staatlich unterstützt, da wir eben gemeinwohlorientiert, mildtätig und gemeinnützig sind. Von daher erzielen wir keinen monetären Gewinn. Das heißt, einerseits ist es eine tägliche Herausforderung, Finanzierungsmöglichkeiten für die Gesundheitsangebote zu finden, um die Arbeit aufrechtzuerhalten. Parallel ist es so, dass die Zahl der Geflüchteten nicht zurückgeht und wir in den 30 Jahren unserer Arbeit kaum positive Veränderungen in der Rechtslage beobachten können, die Menschen gleichstellt oder eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Diese Rahmenbedingungen erschweren es uns enorm, den Menschen die nötige Zeit und Unterstützung zu geben, um nach den teilweise schweren Gewalterfahrungen psychisch heilen zu können.

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Organisationen beitragen?

Der erste Schritt ist, die Arbeit und Bedeutung der einzelnen Einrichtungen sichtbar zu machen. Es geht darum aufzuzeigen und zu informieren, dass die Institutionen keine Staats- oder Wirtschaftsinteressen verfolgen, sondern dass sie eben gemeinwohlorientiert und einzigartig sind. Mit dieser größeren Aufmerksamkeit für die Einrichtung kann auch gemeinsam erreicht werden, dass ihre gesellschaftliche Rolle weiterhin bedeutsam bleibt.

Ein weiterer Schritt geht dahin, sich auf politischer Ebene dafür einzusetzen, die Ressourcen der Einrichtungen zu stärken und das Mitspracherecht über die Gesamtverbände aufrechtzuerhalten. 

Was tut Refugio dafür, um die eigene Arbeit sichtbarer zu machen?

Die Sichtbarkeit unserer Arbeit stellt tatsächlich eine Herausforderung dar, insbesondere da viele der Themen, mit denen wir uns befassen, emotional belastend und oft mit Scham verbunden sind. Um diese Barrieren zu überwinden und dennoch Aufmerksamkeit für unsere Arbeit und die Situation der Betroffenen zu generieren, setzen wir auf verschiedene Kommunikationsmittel. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist unsere Kunsttherapie. Kürzlich haben wir in Bremen die Ausstellung „Was in uns steckt“ in der Villa Ichon präsentiert. Diese Ausstellung bietet jungen Menschen die Gelegenheit, sich künstlerisch auszudrücken und Themen zu kommunizieren, für die es oft keine Worte gibt. Durch solche Initiativen gelingt es uns, die persönlichen Erfahrungen der jungen Künstler:innen und ihre Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer neuen Umgebung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Wieso braucht einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Zunächst entstammen viele gemeinnützige Einrichtungen einem echten ehrenamtlichen Engagement. Ein häufiger Werdegang solcher Institutionen ist die Entwicklung von kleinen, ehrenamtlichen Projekten hin zu professionalisierten Organisationen mit mehreren Standorten und zahlreichen Mitarbeiter*innen. Im Kern solcher Einrichtungen steht jedoch stets das Bestreben, spezifischen Gruppen an bestimmten Orten Angebote zu machen. Dieses Engagement für das Gemeinwohl unterscheidet gemeinnützige Einrichtungen von staatlichen oder unternehmerischen Institutionen. Das Hauptziel ist dabei das Wohl der Menschen und nicht die Erzielung einer finanziellen Rendite.

Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die politische Unabhängigkeit. Gemeinnützige Einrichtungen können und sollten parteilich im Sinne der Unterstützung der Menschen agieren, jedoch ohne Bindung an eine bestimmte politische Partei oder Konfession.

Hinzu kommt, dass die Stärke gemeinnütziger Einrichtungen auch darin liegt, dass sie gemeinsame Ziele verfolgen können. Es geht darum, sich gegenseitig in Qualitäts- und Strukturfragen weiterzuentwickeln, und das ohne in direkter Konkurrenz zueinander zu stehen.


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief von Refugio Bremen als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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