Die Ehrenamtler*innen vom Verein AtelierSieben in Schwelm verbinden in ihren Projekten Gemeinnützigkeit und Nachhaltigkeit und setzten sich so für Mensch und Natur ein. Laut der Vorsitzenden Heike Philipp greift alles ineinander, hängt zusammen, und so ist die Verbindung für sie eine ganz selbstverständliche.

Heike Philipp und Tina Grams vom Verein AtelierSieben stehen in Schwelm an der Untermauerstraße, einer viel befahrenen Straße, vor einem kleinen bemalten Häuschen. Während der Himmel grau ist, strahlt die Wand bunt in den Farben Gelb, Lila und Braun. Städtische Elemente und auch natürliche sind abgebildet. „Unserer Heimat ist hier dargestellt und ein Teil der Heimatstadt der Künstlerin Vita aus der Ukraine“, erklärt Tina, die Kassiererin des Vereins. Heike zeigt auf einen Wasserfall, daneben hängen im Baum Kleidungsstücke, sie ergänzt: „Hier geht es um Wasser und um Upcycling, im Fashionbusiness gibt es so viel Sauereien mit Farben und Umweltverschmutzung“. Auf der anderen Seite des Baumes sind Lebensmittel abgebildet – weiter links unten ein Recyclingsymbol und eine Mülltonne. Die vielen Elemente sollen lokale und globale Verbindungen zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen darstellen und zeigen ganz gut, wofür AtelierSieben in Schwelm steht.

Die Häuserwand ist nur eines der vielen Projekte, die seit 2018 vom Verein für Schwelm geschaffen wurden. Ein paar Meter weiter an der Untermauerstraße befindet sich der Garten von AtelierSieben. Tische und Paletten als Bänke stehen hier, auf einem weiteren Gebäude ist der Schriftzug des Vereins geschrieben. „Hier ist im Sommer leben“, sagt Heike. Aber auch immer mittwochs herrsche Getümmel, wenn „Marktschwärmer“ stattfindet. Regionale Anbieter stehen dann zwischen 18 und 19 Uhr mit fertig gepackten Kisten im Hof, um die bereits zuvor bestellten Produkte zu verteilen: Seifen, Lebensmittel, Gewürze und vieles mehr. Kleinere Produzenten ohne regulären Marktstand oder Lieferketten sollen so unterstützt werden. Die Produzenten erhalten, anders als im herkömmlichen Handel, 80 Prozent des Einkaufspreises.

Wenn man mit Heike und Tina die Straßen von Schwelm erkundet, merkt man gleich, wer die treibenden Kräfte hinter dem Verein sind. Wenn man die beiden fragt, ist die Chronologie ihres Engagements keine geradlinige und so benennen sie gleich mehrere Anfänge. Heike erinnert sich an ihren persönlichen Start: Als die Schwelmerin ins alte Quartier, dem „Nostalgieviertel“ der Innenstadt zog, bedauerte sie den großen Leerstand. „Da muss man mal was tun“, dachte sie sich. „Aber wer ist „man“? Ich bin Frau und fang mal an“, vervollständigten sich ihre Gedanken.

Eine anderer ihrer Anfänge begründet die 58-Jährige zeitlich früher und heute zeugt noch der Name des Vereins davon. Der Name AtelierSieben soll an die „sevengardens Bewegung“ erinnern. sevengardens ist eine Initiative für Färbergärten. Heike setzte sich so mit der Herstellung von natürlichen Farben auseinander. Auch für den Verein bietet sie Kurse an.

Blaue Lichter laufen über Heikes Gesicht während aus einem Lautsprecher Tiergeräusche schallen. „Das ist für die Kids der Hammer“, lacht sie. Wir befinden uns in den Toilettenräumlichkeiten eines der neuesten Projekte, der Keramik- und Töpferwerkstatt. Wenn Kinder oben einen Kurs mitmachen und ein selbst ausgesuchtes Porzellanstück bemalen sei laut Heike für viele diese Toilettenräumlichkeiten nochmal ein Highlight. „Hier taucht man so ab“, kam es Heike zuvor in den Sinn und deswegen dachte sie sich, im Raum vor den Toiletten noch eine Art Erlebnis-Unterwasserwelt zu gestalten. Wenn Heike erzählt, dann sprudeln ihr die Ideen geradezu heraus.

Ob sie schon das eine oder andere Mal für verrückt gehalten wurde? „Ständig“, lacht sie. Sie habe sich schon etliche Sprüche anhören müssen. Die Resultate sprechen jedoch für sich. Mittlerweile kommt die Stadt sogar auf den Verein zu, wenn ein Projekt realisiert werden soll.

Nach und nach füllten sich die leeren Läden

Tina benennt weitere Anfänge für ihren Verein: Wie die Flüchtlingsbewegung 2015. Durch Helferinitiativen lernten sich nicht nur Heike und sie, sondern die beiden auch viele immigrierte Frauen kennen, die „Sachen konnten, die wir nicht können“. Wie zum Beispiel Kleidung nähen. Mit ihnen wurde viel gebastelt und Handarbeit betrieben. „So ist vieles gewachsen und entstanden“, berichtet die 43-Jährige. „Wir haben nie jemanden gesucht, sie sind alle gekommen.“

Zwei Köpfe, viele Ideen: Einige ihrer Vorhaben packen Heike Philipp und Tina Grams (v.l.) zunächst in ihre imaginären Schublade. Wenn die Zeit reif ist, werden sie rausgeholt.

Noch heute zeugt der Kleiderladen für Kindersachen im „Nostalgieviertel“ von diesen Bekanntschaften. Liebhaber von Selbstgenähten, hochwertigen Stücken, kommen hier auf ihre Kosten. Nach und nach gab der Verein so dem Schwelmer „Nostalgieviertel“ ein neues Gesicht: Wenn man jetzt im alten Quartier mit den alten Laternen und den Häusern mit bergischem Schieferfachwerk steht, dann sind die Läden bunt gefüllt. Auf der einen Seite ist neben einem Atelier der beschriebene Kinderanziehsachenladen. Daneben wiederum ein „Eine-Weltladen“ mit Handwerkskunst aus der Region, Deutschland und der gesamten Welt – wie die handgenähten Stoffpuppen aus Brasilien, die Frauen mit behinderten Kindern eine Lebensgrundlage bieten und deren Erlös eins zu eins nach Brasilien gehen. Gegenüber von den Läden gibt es einen Second-Hand-Laden. Expansion ist weiter geplant.

Das Herzstück des Vereins oder „der Anfang des Anfangs“, wie Tina es sagt, sei jedoch weiter oben an der Straße. „Wenn man in diese Räume tritt, tritt man in eine Universität“, scherzt Heike in den Räumlichkeiten von AtelierSieben in einem weiteren, alten Schieferfachwerkhaus. Hier finden Vorträge, Kurse, Begegnungen statt, auch Beratungen für Formulare. Zudem werden in den hinteren Räumen Aromatherapie, Massagen oder Psychotherapie angeboten. Die Liste der Projekte ist lang.

Qualität vor Preis

Das können sie auch gut, weil sie nicht nur Träger einer Unterkunft sind, sondern ein breiteres Tätigkeitsfeld aufweisen. Wie wichtig diese umfassende Unterstützung ist, wurde aktuell während der Corona-Epidemie besonders deutlich, bei der sich die gemeinnützigen Organisationen nicht nur um den Zugang zu medizinischer Versorgung, sondern eben auch um die soziale Betreuung und Einbindung der Geflüchteten kümmern. Daraus folgt: Qualitative Leistungskriterien, die aufgebaute Integrationsinfrastruktur, Kontinuität in der Leistungserbringung, das sollten zentrale Kriterien sein, wenn es darum geht, soziale Arbeit zu organisieren, nicht aber der Preis!

Themenoffensive "#EchtGut – Vorfahrt für Gemeinnützigkeit"

Der Paritätische und seine zahlreichen Mitgliedsorganisationen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich sichern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine wichtige Stütze ist das Prinzip der Gemeinnützigkeit: Gewinne fließen nicht die Taschen einzelner, sondern gehen dorthin, wo sie gebraucht werden. Wir fordern von der Politik: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit gegenüber Profitstreben und Verstaatlichung! Deshalb läuft aktuell die Themenoffensive "#EchtGut – Vorfahrt für Gemeinnützigkeit!". Mehr erfahren: https://www.der-paritaetische.de/vorfahrt-fuer-gemeinnuetzigkeit/

Das Engagement und der Ideengeist scheinen groß: „Wir haben Ideen, die tun wir ein eine imaginäre Schublade und wenn der Tag X kommt, holen wir die raus und dann geht es ganz schnell,“ sagt Heike. Für die beiden ist das ein 24/7- Job und zwar ohne Gehalt oder Aufwandsentschädigung. „Ich bin Hausfrau und Mutter und kann mir keinen Job nebenbei leisten,“ scherzt Tina. Dauerhaft wollen aber beide versuchen den Verein in Zukunft, eventuell über eine Änderung in eine gemeinnützige Genossenschaft, auskömmlich zu gestalten.

So ein Engagement geht nur, wenn die innere Motivation stimmt: „Ich bin auf das, was wir machen, lebenslang vorbereitet worden“, berichtet Heike. Sie wisse, wie es ist, viel zu haben und eben auch wenig.  Und Tina musste als Kind aus der DDR flüchten, weshalb sie sich gut in andere Geflüchtete hineinversetzen kann. „Wir haben viel Kraft“, sagt Heike, das weiß sie, dass das nicht selbstverständlich ist. Hinzu kommt eben der Aspekt der Nachhaltigkeit im Verein, wofür die beiden brennen: „Ich will die eine Welt, die wir haben, nicht mehr ausnutzen. Umweltschutz und Gerechtigkeit geht nur zusammen, hat alles miteinander zu tun“, so die 58-Jährige.


Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Vorfahrt für Gemeinnützigkeit" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Gemeinnützigkeit heißt: Gewinne fließen nicht in die Taschen einzelner, sondern gehen dorthin, wo sie gebraucht werden. Deswegen fordern wir: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit!

Zum Start unserer neuen Themenoffensive "#EchtGut – Vorfahrt für Gemeinnützigkeit" beschäftigt sich unser zweites Verbandsmagazin im Jahr 2022 mit der gemeinnützigen Arbeit unserer Mitglieder. Wir haben Einrichtungen besucht, in denen sich jede*r den Besuch leisten kann, die von Verdrängung bedroht sind und die kreativ arbeiten. Dass das nicht immer leicht ist, mussten wir auch öfter erfahren. Unsere Interviewpartner*innen erzählen uns, warum Gemeinnützigkeit sich trotzdem lohnt und warum sie in der Flüchtlingshilfe, in der Frauen- und Lesbenarbeit, in der Pflege oder in ihrem Landesverband aktiv sind und warum sie es gern tun. Hintergrundartikel und Spannendes zur #EchtGut-Kampagne gibt es ebenso wie das Neueste aus dem Gesamtverband und unseren Landesverbänden.

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Autor*in

Annabell Fugmann

Annabell Fugmann ist selbstständige Journalistin.

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