Die Zentrale für private Fürsorge Bremen ist ein gemeinnütziger Pflegedienst für Senior*innen und pflegebedürftige Menschen. Geschäftsführerin Susanne Behrens erzählt im Interview von der ganzheitlichen Betreuung, in der die Bedürfnisse der Menschen im Fokus stehen. Vor welchen Herausforderungen stehen Pflegedienste, die sich nicht am Profit, sondern am Wohl der Menschen orientieren?

Geschäftsführerin Susanne Behrens

Was macht die gemeinnützige Arbeit der Zentrale für private Fürsorge besonders?

Die Zentrale für private Fürsorge kann auf eine bemerkenswerte 125-jährige Geschichte zurückblicken. Ursprünglich als "Auskunftsstelle für Wohltätigkeit" im Jahr 1897 gegründet, fungierte sie in Bremen als wichtige Anlaufstelle für hilfsbedürftige Menschen und koordinierte die Bekämpfung der Bettelarmut, die durch extreme Verarmung in der Bevölkerung verursacht wurde. Im Laufe der Zeit erweiterte die Zentrale ihre Tätigkeitsfelder und begann, häusliche Krankenpflege zu organisieren und Hauspflegerinnen zu vermitteln. Heute setzen wir uns weiterhin für die ambulante Pflege ein.

Darüber hinaus bieten wir "Wohnen mit Service" an, das speziell auf Senior*innen und Menschen mit körperlichen Einschränkungen ausgerichtet ist und verschiedene Serviceleistungen wie etwa Hausnotruf, Hausmeisterdienste, Veranstaltungen und Mittagstisch beinhaltet.

Neben diesen Diensten betreiben wir das erste stationäre Hospiz in Bremen-Walle sowie ein im Jahr 2021 eröffnetes Hospiz in Bremen-Arsten. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die SAPV-Versorgung, die wir mit unseren ambulanten Palliativdiensten anbieten. Beispielsweise betreiben wir einen ambulanten Palliativdienst für Kinder und Jugendliche in Zusammenarbeit mit der Gesundheit Nord. Das Palliativteam, bestehend aus Ärzt:innen, Pflegefachkräften und einer Familien- und Kunsttherapeutin, bietet Spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche (SAPV-KJ), die von einer lebenslimitierenden Erkrankung betroffen sind.

Unsere breite Palette an Dienstleistungen ist einzigartig in Bremen und unterstreicht unser Engagement für das Wohl der Gemeinschaft.

Gemeinnützige Pflege, was heißt das?

Die Gemeinnützigkeit unserer Organisation wird durch verschiedene Faktoren geprägt. Zunächst sind wir eine Anlaufstelle für Bedürftige, die oft keine anderen Möglichkeiten haben, Unterstützung zu erhalten. Diese Grundfunktion allein unterstreicht unsere gemeinnützige Ausrichtung.

In unserem ambulanten Pflegedienst liegt der Ursprung ebenfalls in der Gemeinnützigkeit. Im Gegensatz zu anderen Organisationen verfolgen wir nicht das Ziel, Gewinne zu maximieren. Stattdessen kalkulieren wir so, dass wir unsere Organisation am Leben erhalten und gleichzeitig in der Lage sind, gewisse Rücklagen zu bilden. Auch im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung steht der finanzielle Gewinn nicht im Vordergrund. Hier geht es vielmehr um die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebensphasen und das Ermöglichen eines würdigen Endes.

Der Antrieb unserer Organisation war von Anfang an, die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen zu identifizieren und dort Unterstützung anzubieten, wo sie benötigt wird. Unsere Mission beruht auf dem Prinzip, den Menschen und ihren Bedürfnissen oberste Priorität einzuräumen. Dies ist es, was unsere Gemeinnützigkeit ausmacht.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

Unsere Arbeit in der Hospizpflege und ambulanten Palliativversorgung steht ganz im Zeichen der individuellen Bedürfnisse der betroffenen Menschen. Unser Ansatz ist, möglichst bedarfsgerecht zu handeln und die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. Wir fragen uns: Was benötigt diese Person? Wie können wir dazu beitragen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben in ihrem gewohnten Umfeld führen kann?

Ein Beispiel hierfür ist der ambulante Palliativdienst für Kinder und Jugendliche. Hier liegt der Fokus nicht allein auf dem erkrankten Kind, sondern die gesamte Familie wird in den Betreuungsprozess integriert. Wir evaluieren, wo die Familie Unterstützung benötigt und helfen dort, wo es nötig ist. Dabei orientieren wir uns nicht an starren Zeitvorgaben, sondern an den individuellen Bedürfnissen.

Auch in unseren Hospizen werden die Zugehörigen unserer Gäste, wie wir sie nennen, in den Betreuungsprozess einbezogen. Unser oberstes Ziel ist es, eine einfühlsame und bedürfnisorientierte Unterstützung anzubieten, die sich auf die individuellen Gegebenheiten und Anforderungen der Betroffenen stützt.

Welche Herausforderungen haben gemeinnützige Einrichtungen derzeit?

Die größte Herausforderung ist und bleibt die Finanzierung. Unsere finanziellen Ressourcen sind begrenzt, und als gemeinnützige Organisation können wir keine nennenswerten Rücklagen bilden. Dies bedeutet, dass selbst kleine finanzielle Engpässe zu erheblichen Schwierigkeiten führen können, insbesondere wenn wir in einem Jahr Verluste verzeichnen.

Wir sind in der Pflege- und Gesundheitsbranche tätig, die maßgeblich von den Kranken- und Pflegekassen finanziert wird. Unsere Pflegekunden, die ebenfalls finanzielle Unterstützung aus der Pflegekasse erhalten, können nur in begrenztem Maße belastet werden. Leider reichen die finanziellen Mittel oft nicht aus, um die gewünschte oder notwendige Versorgung sicherzustellen, insbesondere für Menschen, die alleine leben. In solchen Fällen müssten die Betroffenen aus eigener Tasche zusätzliche Leistungen bezahlen, was für viele eine finanzielle Belastung darstellt.

Gleichzeitig sind wir darauf angewiesen, Einnahmen zu erzielen, um unsere Mitarbeitenden angemessen zu entlohnen und sicherzustellen, dass sie nicht schlechter gestellt sind als ihre Kolleg*innen in privaten Organisationen und vor allem auch in den Kliniken. Wir haben in der Regel eine sehr geringe Mitarbeitendenfluktuation, da sich unsere Mitarbeitenden stark mit unserer Organisation identifizieren. Das Dilemma daran ist, dass wir einerseits auf die begrenzten finanziellen Ressourcen unserer Pflegekunden Rücksicht nehmen und andererseits sicherstellen müssen, dass unsere Dienstleistungen angemessen vergütet werden, um qualifizierte Mitarbeiter*innen zu halten. Ein ständiger Balanceakt, den wir bewältigen müssen.

Was kann zu einer Stärkung gemeinnütziger Organisationen beitragen?

Wir leben stark davon, dass sich die Menschen, die für uns tätig sind, auch am Gemeinwohl orientieren. Und Ich glaube, dass es ganz viele Menschen gibt, die genauso wie wir gemeinwohlorientiert arbeiten wollen. Um die Stärkung gemeinnütziger Organisationen zu fördern, ist eine solide und eigenständige Finanzierung unerlässlich. Damit das, was die Menschen tun, auch angemessen entlohnt werden kann.

Leider sehen wir, dass Pflegebedürftige oft über Gebühr belastet werden, da die Mittel aus der Pflegekasse begrenzt sind. Wir versuchen, unsere Pflegekund*innen so wenig wie möglich zu belasten, während wir gleichzeitig sicherstellen müssen, dass wir angemessene Arbeitsbedingungen bieten und faire Gehälter zahlen können.

Die Situation ist schwierig. Viele Pflegeheime sind von Insolvenz bedroht oder bereits betroffen. Die Finanzierung der Pflegekassen ist angespannt, obwohl sie aus den Beiträgen der Arbeitnehmer*innen gespeist werden. Eine alternde Bevölkerung erfordert immer mehr Pflegeleistungen, aber die Gelder in diesem Topf sind begrenzt. Dies führt zu wachsenden Herausforderungen, wenn immer mehr Menschen aus begrenzten Mitteln unterstützt werden müssen. Die begrenzte Finanzierung ist ein großes Problem, wenn die Bedürfnisse stetig wachsen.

In welchem Maße konkurrieren gewinnorientierte Unternehmen mit gemeinnützigen Organisationen?

Obwohl der Profit in der Pflege nicht an erster Stelle steht, konkurrieren gemeinnützige Einrichtungen wie unsere mit gewinnorientierten Unternehmen, insbesondere im Bereich der ambulanten Pflege. Im Gegensatz dazu ist der Wettbewerb im ambulanten Palliativdienst und in der Hospizversorgung geringer, da private Angebote dort weniger verbreitet sind. Dennoch gibt es in der gesamten Pflegebranche private Unternehmen, bei denen Geldgeber Rendite aus ihren Investitionen erwarten und Kapital aus dem System abziehen, anstatt es für die Unterstützung der Pflegebedürftigen zu nutzen.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die vielen kleinen Pflegeanbieter hier in Bremen, insbesondere die kleineren ambulanten Pflegedienste nicht in erster Linie übermäßige Gewinne anstreben. Sie müssen von ihrer Arbeit leben, ohne exzessive Profite zu erzielen oder Geld anderswo zu investieren.

Warum braucht es einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Im Bereich der Hospiz-, ambulanten Palliativ- und Pflegeversorgung ist es von entscheidender Bedeutung, einen Vorrang für gemeinnützige Dienste und Einrichtungen zu schaffen. In der ambulanten Pflege wächst der Bedarf an Versorgungsdiensten und wird zum Teil von privaten Anbietern gedeckt. Es gibt sogar überregionale private Organisationen im Bereich der ambulanten Pflege, die den Markt dominieren und expandieren. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass privatwirtschaftlich orientierte Dienstleistungen den Profit in den Vordergrund stellen und nicht das Wohlergehen der Kund*innen.

Ich frage mich einfach, wie es weitergehen soll. Denn in einer Wettbewerbssituation wechseln Fachkräfte zu den besser bezahlten Jobs. Und dann sieht die Zukunft nicht besonders rosig aus. In Bremen gilt ein Tarifvertrag, der vorschreibt, dass alle Einrichtungen entweder den Tariflohn oder den Durchschnitt der Tariflöhne, die in Bremen gelten, bezahlen müssen. Das bedeutet, dass selbst private Anbieter, die von der Pflegekasse oder anderen Geldgebern finanziert werden, mindestens diesen Tariflohn zahlen müssen. Wenn sie höhere Gehälter anbieten wollen, müssen sie dies an anderer Stelle einsparen. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass anderswo höhere Gehälter angeboten werden. Aber bei einem immer größer werdenden Fachkräftemangel verlieren die Gemeinnützigen den Kampf ums Personal.

Ein gutes Beispiel sind Zeitarbeitsfirmen, die im Pflegebereich weit verbreitet sind. Sie werben Mitarbeiter*innen aus Einrichtungen ab, indem sie höhere Gehälter anbieten und vermieten dann diese Arbeitskräfte zu einem höheren Preis an die Einrichtungen zurück. Dies ist ein erhebliches Problem in der Pflegebranche und insbesondere für gemeinnützige Organisationen. Diese Zeitarbeitsfirmen konkurrieren um unser Personal, ohne sich an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren, sondern mit dem Ziel, Profit durch den Verleih von Arbeitskräften zu erzielen.

Dennoch kehren viele Mitarbeiter*innen zu uns zurück, da sie es als angenehmer empfinden, in einem Team zu arbeiten und dieselben Werte zu teilen. In unserer Organisation engagieren sich zudem viele Ehrenamtliche, die ihre Zeit und ihr Können freiwillig einbringen. Ohne ihr Engagement wären unsere vielfältigen Aufgaben in Bereichen wie Hospiz und Palliativdienst in diesem Umfang nicht umsetzbar. Und das ist es, was die Zentrale für private Fürsorge auszeichnet: Wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die dieselben Werte teilen.

 


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief der Zentrale für private Fürsorge als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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