Der Ausnahmezustand ist das „new normal“ – Lockdowns und Lockerungen, Aerosole und AHA-Regeln, Schutzkonzepte und Masken waren die Stichworte der letzten anderthalb Jahre, die auch die regionale Arbeit im Paritätischen geprägt haben. Jetzt kommt eine alte Bekannte dazu: Die Finanzierungsfrage. Denn nach den umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen für die Kommunen während der Pandemie durch Bund und Länder, wird die zukünftige kommunale Finanzentwicklung in den Kämmereien eher pessimistisch eingeschätzt. Wo stehen wir Ende 2021, welche Spuren hinterlässt die Pandemie in der regionalen Arbeit?

Die Pandemie hat gezeigt: Eine starke regionale Struktur sichert Verlässlichkeit und ermöglicht Flexibilität

Das Paritätische Netzwerk ist weit gespannt: vom Bodensee bis nach Flensburg und von Viersen bis nach Chemnitz. Über 10.000 Mitgliedsorganisationen sind unter Paritätischem Dach zusammengeschlossen – in Kreisgruppen, Landesverbänden und auf Bundesebene im Gesamtverband organisiert. Neben den fachlichen Ansprechpartner*innen gibt es im ganzen Bundesgebiet Paritätische haupt- und ehrenamtliche Kreisvorstände, Kreisgruppengeschäftsführer*innen und Regionalleiter*innen als regionale Knotenpunkte. Sie sind die örtlichen Anlaufstellen für die Träger und Projekte.

In der Pandemie hat lokales Wissen aufgrund von unterschiedlichen Inzidenz-Werten, verschiedenen Ge- und Verboten und sich regional unterscheidender gesundheitlicher und sozialer Infrastruktur immer mehr an Bedeutung gewonnen. Was brauchen wir hier vor Ort und worauf müssen wir besonders achten wurden zur Gretchenfrage.

Durch die regionale Struktur konnten flexibel und in enger Abstimmung zwischen Paritätischen Mitgliedsorganisationen und örtlicher Verwaltung/Politik bedarfsgerechte und flexible Angebote erarbeitet werden – um Notbetreuung zu organisieren, den Zugang zur Schuldner-, Sucht- und Familienberatung zu gewährleisten, die Unterstützung älterer Menschen zu sichern und vieles mehr. Immer ausgerichtet an den lokalen Gegeben- und Notwendigkeiten. Soziale Träger haben ihren Auftrag als Einrichtungen der Daseinsvorsorge eingelöst und Versorgung und soziale Interaktion vor Ort sichergestellt, auch in Zeiten der Pandemie. Die regionale Struktur ist dabei zum Transmissionsriemen schlechthin geworden – durch den engen Kontakt mit den Mitgliedsorganisationen liegen die besonderen sozialen Herausforderungen dieser Zeit „auf dem Tisch“; es konnten gemeinsam Lösungen gefunden sowie Fehlentwicklungen und  Problemlagen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene an Politik und Verwaltung vermittelt werden. Gleichzeitig haben Politik und Verwaltung Ansprechpartner*innen vor Ort, um sicherzugehen, dass die Verordnungen und gemeinsam erarbeiteten Konzepte die Träger auch erreichen und umgesetzt werden können.

Die Struktur im Paritätischen, die lokales Know-how mit lokalen Lösungsansätzen verbindet, hat sich in dieser Zeit besonders bewährt; der Paritätische hat sich als verlässlicher Partner von Politik und Verwaltung und aktiver Mitgestalter des Gemeinwesens gezeigt. Wertschätzung, Zusammenhalt, Innovationschub sind positive Erfahrungen aus dem ersten Corona-Jahr.

Nach der Pandemie ist wie vor der Pandemie, nur schlimmer: Die unterschiedliche Entwicklung der kommunalen Finanzen verschärft sich

Dank umfangreicher Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Bundes und der Länder (insb. Kompensation der Gewerbesteuerausfälle, Steigerung der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft  auf 75 %, Unterstützung für soziale Träger über das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz - SodEG) konnten die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie 2020 auf kommunaler Ebene weitgehend abgefedert werden. In der Folge wurden auch gegenüber sozialen Trägern vielerorts Einnahmeausfälle kompensiert und Liquditätssicherungen ausgesprochen. In Zeiten der Krise gab es auf kommunaler Ebene den Schulterschluss zwischen öffentlicher Hand und freien Trägern.

Das hat auch damit zu tun, dass aufgrund der langfristigen Planungsvorläufe im kommunalen Haushalt Angebote, Projekte und Dienstleistungen 2020 und auch 2021 weitestgehend erstmal durchfinanziert waren, es also bislang kaum zu unvorhergesehenen Kürzungen im sozialen Bereich kam. Das wird sich erwartbar in den nächsten Jahren ändern. Die fehlenden Steuereinnahmen auf kommunaler Ebene werden sich erst mit einer gewissen Zeitverzögerung abzeichnen – wenn Zuweisungen, die auf Grundlage der Steuereinnahmen von 2020 berechnet werden niedrig ausfallen oder die Kreisumlage steigt. Harte Verteilungskämpfe werden mit den nächsten zu verhandelnden Haushalten auf die sozialen Träger zukommen. Denn: Laut KfW Kommunalpanel erwarten 85% der Kommunen einen Rückgang der Einnahmen insgesamt und über 40 % erwarten einen Anstieg der Sozialkosten. Bei freiwilligen Aufgaben im Bereich Sport, Kultur, Soziales besteht nach Auskunft der Kämmereien besonders das Risiko spürbarer Einsparungen – und dies insbesondere in Gemeinden mit wenig Spielraum: 48% der finanzschwachen Kommunen erwarten Einsparungen bei freiwilligen Aufgaben im Bereich Soziales gegenüber 24 % der finanzstarken Kommunen. Durch die Pandemie verschärft sich ein Trend, der sich schon lange abzeichnet: Die kommunale Finanzsituation driftet auseinander.

Über die kommunale Ebene wird allerdings ein Großteil der sozialen Angebote finanziert – eine Verschärfung der finanziellen Situation hat also immer unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bürger*innen vor Ort und die vorhandene Infrastruktur.

Für die regionale Arbeit im Paritätischen bedeutet dies auch in der Zukunft durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit das Paritätische Profil als Leistungsanbieter und Gestalter des Sozialraums zu stärken und gegenüber kommunaler Politik und Verwaltung zu vermitteln. Dabei kann – vor dem Hintergrund des sich vielerorts sowohl bei der öffentlichen Hand als auch den freien Trägern vollziehende Generationenwechsel – nicht davon ausgegangen werden, dass Rolle (Dienstleister, Sozialanwalt und Kristallisationspunkt zivilgesellschaftlichen Engagements), Struktur (insbesondere Finanzierungs- und Mitgliedsstruktur) und Prinzipien (insbesondere Gemeinnützigkeit und Subsidiarität) der freien Wohlfahrtspflege allseits bekannt wären. Das ist in der alltäglichen Arbeit immer wieder auch frustrierend, bietet aber auch Chancen zur Profilierung – gerade für den Paritätischen mit seiner starken regionalen Struktur und Konzentration auf die Rolle als Interessenvertretung und Dachverband seiner Mitglieder. Die Kombination aus hoher Fachlichkeit, Kooperationsfähigkeit, Transparenz, Werteorientierung und Hartnäckigkeit zeichnet den Paritätischen im kommunalen Kontext aus – und hat sich während der Corona-Pandemie bewährt.

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Autor*in

Portrait von Mara Dehmer

Mara Dehmer

Mara Dehmer ist Referentin für kommunale Sozialpolitik in der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa des Paritätischen Gesamtverbandes.

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