Im Bundestagswahljahr startet der Paritätische Gesamtverband die Kampagne #WeilAlleZählen. Ein Thema dabei: Armut abschaffen! Ein Appell von Dr. Joachim Rock, Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa im Paritätischen Gesamtverband.

Zur Bundestagswahl 2021 haben wir eine klare Forderung an die Politik: Wir wollen Armut abschaffen und wir wollen einen Sozialstaat, der Angst nimmt und der nicht Angst erzeugt. Und das fängt bei der Schaffung existenzsichernder Leistungen an, aber es hört noch lange nicht dabei auf.

Umgang mit von Armut Betroffenen in Deutschland: Ein entmutigendes System

Wie notwendig das alles ist, haben wir vor wenigen Tagen auf dem Paritätischen Aktionskongresses gegen Armut gesehen. Dort haben Aktivist*innen und Betroffene selbst sehr eindringlich deutlich gemacht, dass sich hinter den Zahlen der Massenverwaltung viele Millionen von Einzelschicksalen verbergen – Menschen, denen es am Nötigsten fehlt und die statt Unterstützung häufig genug nur mit Vorbehalten konfrontiert sind. Menschen in der Grundsicherung erleben institutionalisiertes Misstrauen und organisierte Unverantwortlichkeiten – ganz besonders in Zeiten, der Corona Pandemie. Sie sind einem Nachweis- und Prüfungssystem ausgesetzt und das stellenweise kafkaeske Züge angenommen hat.

Die Akten von Kundinnen und Kunden der Jobcenter sind im Durchschnitt 300 Seiten lang und bundesweit lagern so fast fünf Milliarden Blatt Papier – täglich werden es 1,8 Millionen mehr. Das zeigt die Dimension der Kontroll- und Nachweiswut, die da tatsächlich herrscht. Hinzu kommt die mangelnde Planbarkeit der Situation für viele Betroffene: Wer arbeitslos ist und das Jobcenter aufsuchen muss, weiß nicht, ob er in der darauf folgenden Woche eine Weiterbildung bekommt oder stattdessen im Rahmen einer Maßnahme an einer Kreuzung sitzt und Autos zählen muss. Und wir haben darüber hinaus ein Sanktionssystem, dass über fünfzehn Jahre lang aufrecht erhalten wurde, bevor es dann im vergangenen Jahr durch das Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Wir müssen das ändern! Wir brauchen ein System das hilft – und nicht straft.

Gegen Armut hilft Geld

Nur zwölf Prozent der über 44-Jährigen finden aus der Grundsicherung heraus innerhalb eines Jahres überhaupt einen Job. Ihnen fehlt es an Unterstützung. Ein solches System ermutigt niemanden – es entmutigt. Dabei ist der Name „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ ohnehin falsch. Auch das müssen wir immer wieder deutlich machen. Von den 5,4 Millionen Menschen, die etwa in der Grundsicherung sind, sind überhaupt nur 3,9 Millionen erwerbsfähig. 1,5 Millionen sind Kinder. Das sind keine kleinen Arbeitslosen und die gehören auch nicht aufs Jobcenter. Und von den 5,4 Millionen sind nur gut 1 Million Menschen arbeitslos und ohne Beschäftigung. Das ist nur jede*r Fünfte! Wir haben viele Menschen, die Geld im Rahmen der Grundsicherung erhalten, aber erwerbstätig sind, die ihre Angehörigen unterstützen und pflegen und die in anderer Weise beschäftigt sind, etwa in einer Weiterbildung.

Armut trotz Arbeit ist also immer weiter verbreitet, doch damit müssen wir uns nicht abfinden. Damit dürfen wir uns auch nicht abfinden. Gegen Armut gibt es ein Mittel. Gegen Armut hilft Geld. Und gegen Armut trotz Arbeit hilft eine gerechte Entlohnung und dafür treten wir im Paritätischen ein. In den vergangenen Jahren wurde Armut mehr als ausreichend analysiert. Jetzt muss es darum gehen, Armut ab zu schaffen!

Armut abschaffen, aber wie?

Ein erster Schritt zur Abschaffung von Armut ist der Stopp von prekärer Arbeit. Wir fordern deshalb einen Mindestlohn von mindestens 13 Euro. Das ist auch deshalb notwendig, weil man diese Summe braucht, um im Alter ohne Furcht vor Altersarmut leben zu können. Wir brauchen eine Arbeitslosenversicherung die schützt. Derzeit ist es eine Versicherung, die nur in jedem dritten Versicherungsfall die Menschen erreicht. Die anderen haben gar nicht die notwendigen Voraussetzungen um Ansprüche aufgebaut zu haben. Wir müssen Hartz IV überwinden. Deshalb brauchen wir eine menschenwürdige Grundsicherung mit deutlich höheren Regelsätzen. Die derzeitigen sind viel zu knapp bemessen. Wir bräuchten mindestens 644 Euro wie wir mit unserer Paritätischen Forschungsstelle errechnet haben, um das leisten zu können. Und wir müssen Altersarmut verhindern. Das ist das am schnellsten wachsende Armutsrisiko und deshalb müssen wir die Rentenversicherung stärken und Ehrenabsicherungsfähigkeit erneut ausbauen.

Das sind nur vier Punkte, wir sehen aber schon daran: Armut ist kein Schicksal wir können sie überwinden und wir können sie auch abschaffen.

Ein Kampf, der sich lohnt!

Dabei können wir im Paritätischen auch auf Erfolge unserer Arbeit zurückblicken: Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 unsere langjährige Kritik bestätigt, dass die Regelsätze willkürlich bemessen sind und damals schon den Gesetzgeber zu grundlegenden Korrekturen aufgefordert. Dasselbe Gericht hat 2020 eine langjährige Forderung des Paritätischen gestärkt, indem es deutlich gemacht hat, dass viele Sanktionen verfassungswidrig sind. Wir wollen das diese Sanktionen abgeschafft werden.

Und nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht kriegen wir Rückenwind, sondern auch unsere Kampagnen- und unsere Bündnisarbeit haben gezeigt, dass wir etwas verändern können. Ohne uns und unsere Bündnispartner*innen, wäre der Gesetzgeber im Februar nicht auf die Idee gekommen, zumindest einen einmaligen Corona-Krisen-Zuschuss an die Ärmsten aus zu zahlen. Dass benachteiligte Kinder aus armen Familien in der Pandemie auch dadurch unterstützt wurden, dass sie Hardware, Computer und Anderes für die Schularbeit und für den Haushalt gezahlt bekamen, war eine Reaktion auf unsere Aktivität und die unserer Partner*innen.

Wir können also zusammen einiges erreichen und es lohnt sich zu kämpfen – also kämpfen wir weiter – schaffen wir gute Arbeitsbedingungen und schaffen wir Armut ab!

Hinweis: Vom 12. bis 16. Juli startet der Paritätische Gesamtverband die Themenwoche #ArmutAbschaffen auf seinen Social Media-Kanälen mit täglichen neuen Inhalten zu diesem Thema. Weitere Infos: www.der-paritaetische.de/WeilAlleZaehlen


1 Kommentar

Reinhold Napp schrieb 12.01.2022

Sehr geehrter Herr Rock,

Ich wende mich mit einem Problem an sie, von dem ich in keiner Auflistung lese oder gar etwas in Talkshows oder ähnlich höre:

Ich mache mir große Sorge um meine, wenn erforderlich, Pflege.

Ich bin 72 Jahre alt und habe knapp 50 Jahre durchgängig gearbeitet.

Aufgrund eines BGH-Urteils erhalte ich aber nur ca. 40 % meiner Rente nämlich 1671,33344 EUR/mon.

Meine von mir geschieden Frau ist nach Ablauf von 3 Jahren verstorben. Dadurch habe ich den bei mir angerechneten Anteil nicht mehr bekommen.

Mit welcher Finanzierung muss ich nun bei einer Betreuung in einem Heim rechnen, bzw. kann ich nicht mehr rechnen?

Es wird mich stolz machen, wenn aus der Politik mal eine konkrete Aussage kommen würde.

Danke für ihre Bemühungen.

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Dr. Joachim Rock

Dr. Joachim Rock ist Leiter der Abteilung "Arbeit, Soziales und Europa" beim Paritätischen Gesamtverband.

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