In der öffentlichen Wahrnehmung sind Drogen ein Thema in den Stäten, fast immer mit sozialem Elend verbunden. Die Junkies am Kottbusser Tor oder am Frankfurter Hauptbahnhof sind weiterhin beliebtes Ziel von TV-Kameras. Selten fahren die Fernsehteams raus auf’s Land. Aber auch dort gibt es Konsument*innen von Substanzen – und es gibt dort auch Hilfe. Dr. Dirk Kratz ist Geschäftsführer des TherapieverbundesLudwigsmühle, dessen größte Einrichtung sich im kleinen Ort Lustadt befindet, und erzählt von seiner Arbeit.

Der Therapieverbund Ludwigsmühle bietet verschiedene Hilfeangebote für Drogensüchtige: Arbeitsmarktintegration, stationäre und ambulante Drogen-Reha. Die Klientinnen und Klienten werden aus Suchtberatungsstellen in Einrichtungen wie diese vermittelt. Wenn jemand eine Entgiftung macht, kann er oder sie auch direkt in die Reha vermittelt werden. Ein weitere Möglichkeit  nennt sich „Therapie statt Strafe“ und beinhaltet das Angebot, einen Teil der Haftstrafe in der Drogen-Rehabilitation zu verbringen. Diese Menschen kommen unmittelbar aus einer Justizvollzugsanstalt. „Viele haben die Vorstellung von zugeballerten Pop-Stars, die dann in die Betty Ford-Klinik kommen. Ganz so ist es nicht“, lacht Dirk Kratz.

Die größte Klinik des Trägers – die Ludwigsmühle – befindet sich in Lustadt, einem 3000-Seelen-Dorf in Rheinland-Pfalz. „Dass Suchthilfeeinrichtungen in einem eher ländlichen Umfeld aufgebaut wurden, hat historische Gründe“, erklärt Dirk Kratz: „Früher dachte man sich wohl, dass man aus der Großstadt wegmüsse.“ Suchttherapie findet nicht selten auf alten Bauernhöfen fernab der urbanen Umschlagplätze statt, wo die Klient*innen stärker zu sich finden können. Durch diese „positive Isolation“, wie Dr. Kratz es nennt – und betont, dass dies kein Fachbegriff sei – entstünde eine Art kleines Ökosystem und eine Gemeinschaft. Der Nachteil der Lage sei allerdings, dass sowohl verkehrs- und digitale Infrastruktur immer noch zu wünschen übrigließen. Vor der Ludwigsmühle gebe es noch nicht einmal eine Bushaltestelle. Gemeinsame Ausflüge oder auch individuelle Eingliederungserfahrungen in der Stadt zu sammeln, ist schwierig. „Hier läuft man zwei, drei Kilometer ins Dorf und dann hat man dort in den Edeka. Das ist nicht das gleiche“, erklärt Kratz.

Verschiedene Angebote in der Ludwigsmühle

Eigentlich kommt Kratz aus dem Raum Saarbrücken, er studierte und promovierte in München. Seine Promotion beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit. In den folgenden Jahren wechselte er immer mal wieder zwischen sozialpädagogischer Praxis und Hochschule. Seit Oktober 2019 alleiniger Geschäftsführer der Ludwigsmühle.

Verkürzt gesagt ist die Rehabilitation eine Entwöhnungsbehandlung, die nach der Entgiftung, dem eigentlichen Drogenentzug, kommt. In der Fachklinik Ludwigsmühle wird eine medizinisch-psychotherapeutische Behandlung angeboten, ergänzt durch Arbeits- und Sporttherapie und Arbeitsorientierungsangebote, die im optimalen Fall wieder in eine reguläre Beschäftigung führen. Die meisten Menschen, die in die Ludwigsmühle kommen, sind Ende 20 bis Anfang 30 und konsumieren bereits seit 10 bis 15 Jahren, erklärt Dirk Kratz. „Damit haben sie auch die institutionell wichtigen Jahre für die Berufsausbildung verpasst oder auf Drogen erlebt.“ Die Aufgabe der Therapeutinnen und Therapeuten in der Ludwigsmühle ist es nun, die noch jungen Menschen auf ein eigenständiges drogenfreies Leben und im besten Fall 30 Jahre Berufstätigkeit vorzubereiten.

Ein weiteres Angebot des Trägers ist die Villa Maria, speziell für drogensüchtige Eltern, die mit ihren Kindern in die Einrichtung kommen, eine Mischung aus Jugendhilfe für die Kinder und Suchthilfe für die Eltern. Hier verbindet Dirk Kratz eine besondere Erinnerung: Ein alleinerziehender Vater erzählte im hauseigenen Podcast „Freiheit ohne Druck“, was es für seine Kinder bedeutet, mit einem süchtigen Vater groß zu werden. Der Klient schrieb auch einen kurzen Rap darüber, und zwar aus der Sicht der Kinder. Das Rappen hatte so auch eine therapeutische Wirkung. „Das hat mich ziemlich beeindruckt, wie er mit seiner Erkrankung umgegangen ist.“

Kein ruhiges Hinterland für Drogen

Die Arbeit mit Drogenkonsument*innen auf dem Land unterscheidet sich von der in der Stadt. In den Großstädten gibt es weitaus mehr niedrigschwellige Angebote wie sog. Drogenkonsumräume, Kontaktcafés und Beratungsstellen. Im ländlichen Gebiet findet man derartige Einrichtungen selten.

Medienberichte der letzten Jahre sprechen immer wieder (teils dramatisiert) von Crystal Meth-Konsum im tschechischen Grenzgebiet. In der Pfalz scheint das aber kein großes Thema zu sein. Dirk Kratz sieht andere Probleme in der Region: „Hier in der Nähe in Germersheim hat man mehrfach gehört, dass es Umschlagplätze für Amphetamine gebe.“ Dort wurden Lager mit unterschiedlichen Drogen gefunden, erzählt er, darunter auch sog. Neue Psychoaktive Substanzen wie „Spice“. Ein ruhiges Hinterland für Drogen gibt es nicht. „Wir stellen aber auch fest, dass sich heutzutage durch die Digitalisierung das Stadt-Land-Gefälle immer mehr auflöst.“ Man muss nicht mehr am Hauptbahnhof Drogen einkaufen, heute würde viel über das Internet verkauft – und von überall verschickt oder sogar geliefert: „Wer auf dem Land wohnt und Drogen haben möchte, bekommt sie auch“, so Kratz.

In Landau, so berichtet Dirk Kratz, gab es auch einmal den letztendlich erfolglosen Versuch, die hiesige Drogenszene zu zerschlagen, indem man die üblichen Orte schloss, wo man sich traf. Wie eigentlich immer, wenn man mit Repression gegen Drogenkonsum vorgehen wollte, war auch dieses Vorgehen erfolglos. „Die Konsument*innen waren ja immer noch da, trafen sich aber eben eher in privaten Räumen.“

Zum Schluss des Telefonats wird es noch einmal kurz persönlich, denn wenn man ein paar Klischees bemüht, müsste Dirk Kratz eigentlich ein Stadtmensch sein. Auf der Homepage der Ludwigsmühle sieht man ihn im Kapuzenpullover und mit anblondierten Haaren. Unter seinem Ärmel blitzt eine großflächige Tätowierung durch. Das Klischee täuscht: „Ich wohne in Landau im Zentrum. Aus Berliner Sicht ist das wahrscheinlich ein Dorf“, lacht er. Landau sei aber ein Mittelzentrum, wie viele andere Städte in Deutschland. „Mich persönlich hat es aber nie gereizt, in einer richtigen Großstadt zu wohnen. Ich schätze an Landau, dass man alles fußläufig erreichen kann, ohne dass zu eng, voll und unübersichtlich würde.“ Klar habe Landau nicht tausend Yoga-Studios, aber alles, was man für ein gutes Leben brauche.


Das Verbandsmagazin "Stadt und Land" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Stadt und Land" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Wer mit offenen Augen durch unsere Städte geht, findet sie häufig: Einrichtungen der Wohlfahrt. Beratungsstellen, Kitas oder Senior*innenheime. Sie gehören ins Stadtbild. Aber wie sieht es in dünn besiedelten Gebieten aus? Darum dreht sich alles in der aktuellen Ausgabe unseres Verbandsmagazins "Stadt und Land."

Wir besuchen Internetkurse für Ältere, Arbeitsmarktinitiativen, Drogenhilfe und Schwangerschaftsberatungen - alles im ländlichen Raum. Wir fragen nach, welche Vor- aber auch Nachteile das Paritätische Arbeiten jenseits der Metropolen haben kann. Wir interviewen Paritäter*innen aus den Landesverbänden und Mitglieder aus der Migrationsberatung und stellen uns die Frage nach der kommunalen Daseinsvorsorge.

Außerdem berichten wir über Housing First, warum kleinere Krebsberatungsstellen aufatmen können und Inklusion in Corona-Zeiten besonders wichtig ist. Es gibt Details zur Kampagne "Hartzfacts"  und Neuigkeiten von unserem Digitalisierungsprojekt. Und natürlich informieren wir auch wieder über wichtige Termine und Neuerscheinungen.

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Philipp Meinert

Philipp Meinert verantwortet beim Paritätischen Gesamtverband den Bereich Presse und Redaktion. Für das Verbandsmagazin des Paritätischen Gesamtverbandes schreibt er Artikel und führt Interviews.

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