Not macht erfinderisch. Und manchmal sogar sehr kreativ. Mitten im von der Corona-Pandemie besonders gebeutelten sächsischen Landkreis Meißen hat das Familienzentrum Radebeul gleich einen ganzen Berg an Ideen entwickelt, um die Radebeuler*innen gut durch die Covid 19-Zeit zu begleiten.

Das Familienzentrum liegt in Altkötzschenbroda, einem historischen Dorfkern von Radebeul, auf einem alten, umgebauten Bauernhof. Das Angebot der Einrichtung umfasst ein großes Altersspektrum. Hier sind alle willkommen, von Säuglingen bis zu Senior*innen. Alles vorzustellen würde den Rahmen dieses Textes sprengen. „Das Familienzentrum muss man sich einfach als ein ganz buntes Haus vorstellen, wie unser Logo eben. Ein sehr quirliges und lebendiges Haus, in dem es schon auch durchaus laut sein kann“, erklärt Anja Schenkel, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit die Einrichtung in einem Satz. Mit Lautstärke und Quirligkeit war es dann aber auch im Familienzentrum wie überall im März 2020 vorerst vorbei. „Natürlich waren wir zuerst fürchterlich erschrocken. Alle mussten plötzlich zuhause bleiben, wir haben uns nicht getraut, für Beratungen zu öffnen. Es war auf einmal alles zu!“ schildert Geschäftsführer Mathias Abraham die Situation, die viele Wohlfahrtseinrichtungen gut nachvollziehen dürften. Zunächst einmal stand nach dem ersten Schreck aber eine Zeit der Reflektion an und die Frage, wie man in einem möglichen zweiten Lockdown mit der Situation umgeht. Schlussendlich entschied man aber: „Ganz zu machen wir nicht nochmal. Wir können die Menschen nicht allein lassen.“Mit Beginn des zweiten Lockdowns musste man im Familienzentrum erneut umdenken und unbekannte Wege beschreiten. Mitarbeiter*innen wurden zu Aspekten der Digitalisierung geschult, besonders zum Online-Tool Zoom. Gemeinsam entschied man sich, Kochkurse mit diesem Videokonferenzprogramm anzubieten: „Was es zum Abendbrot gibt, ist ja sowieso immer ein Dauerthema. Da bot sich das Kochen via Zoom an.“, erläutert Maria Berg-Holldack, im Familienzentrum für den Bereich Familienbildung zuständig, die Idee. Interessierte Familien können sich an-melden, erhalten einen Zoom-Link und eine Zutatenliste und dann kann es losgehen. Bereits bei der zweiten Runde haben sich schon acht Familien beteiligt und das Angebot erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Überraschenderweise seien einige Runden wie Fortbildungen und Kollegiale Beratungen digital sogar besser besucht als Vor-Ort-Angebote, stellt Anja Schenkel erfreut fest. Auch die Gesprächskreise für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen finden aktuell per Zoom statt und werden rege besucht.Dennoch gibt es nicht nur digitale Angebote im Familienzentrum: Das etablierte Angebot, für vier bis fünf Euro Mittagessen zu bekommen, gibt es auch weiterhin. „Natürlich kann nichts vor Ort verspeist werden. Das reicht unsere Köchin jetzt zum Mitnehmen durchs Fenster. Für die Menschen ist es so eine Möglichkeit, mal vor die Tür zu kommen und sich eine Mahlzeit nachhause zu holen.“

"Alles wird gut“: Die Weihnachtsbotschaft für Menschen, die allein zuhause feiern müssen.

Rezepte per Zoom, Teebeutel per Post

Gemeinsames Kochen per Zoom ist ein zentraler, aber bei weitem nicht der einzige Bestandteil des neuen Corona-gerechten Programms im Familienzentrum. Für Eltern mit kleinen Kindern gibt es digitale Krabbelgruppen und für Senior*innen eine Online-Teestube. Aktuell fällt ein wichtiges Angebot für alleinstehende ältere Menschen weg: Das tägliche Café-Angebot im Haus. Die Lösung war dann so simpel wie genial: „Wir haben Teebeutel mit der Post an die Senior*innen geschickt. Dann konnte man sich einen Tee aufbrühen und saß per Zoom zusammen“ erläutert Ines Franke die Idee. Sie ist im Familienzentrum für die Senioren-Angebote zuständig. „Und auch wenn wir nicht alle damit erreichen, ist es so doch eine weitere Möglichkeit der Begegnung.“ Außerdem schreibt sie wöchentliche Mails an die Senior*innen und hält auf diese Weise ebenfalls Kontakt. Die Herausforderderung war allerdings, dass ältere Menschen nicht immer mit Technik vertraut sind. Dazu wurden und werden Technik-Beratungen im Haus angeboten. Wer noch nicht so firm ist mit Smartphone und Tablet, kann unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen mit den Geräten im Familienzentrum vorbeikommen und hygienegerecht eine kurze Einweisung bekommen.Da man vieles, aber noch nicht alles per Videokonferenz erledigen kann, bietet das Familienzentrum darüber hinaus Einkaufsfahrten für ältere Radebeuler*innen an. Auch diese werden von Ines Franke organisiert. Im Frühjahr wurden dafür noch die Einkaufszettel eingesammelt, eingekauft und geliefert. Doch eigentlich war nicht das Erledigen des Einkaufs der Wunsch. „Es geht vielen auch einfach darum, sich zu treffen, im Auto zu sitzen und zu reden und wieder selbstbestimmt einkaufen zu gehen.“ Etwas Besonderes dachte sich das Team zum Heiligen Abend aus. Eigentlich ist das Familienzentrum dann immer Anlaufpunkt für Menschen, die sonst den Tag allein Zuhause verbringen würden. Das gemeinsame Beisammensein fiel 2020 leider aus. Daher wurden Briefe mit Lichtertüten und einer kleinen, mutmachenden Geschichte gepackt, um ein wenig Hoffnung zu verbreiten. Digitales sei gut und schön, aber man wollte gerade an Weihnachten auch mal etwas Haptisches mitgeben, betont Anja Schenkel.

Das Team im Familienzentrum will trotz der schwierigen Lage nicht aufgeben: „Wir stehen hinter den Maßnahmen und müssen da jetzt durch. Uns ist aber wichtig, dass die sogenannten sozialen Randgruppen nicht vergessen werden“, hebt Geschäftsführer Mathias Abraham hervor. Im Rahmen der Verordnungen ist nach wie vor vieles möglich und sei es, immer etwas Positives mit auf den Weg zu geben. Auf der Startseite der Homepage des Familienzentrums kann man daher lesen: „Beende den Tag immer mit einem positiven Gedanken. Denn egal wie schwer die Dinge waren – morgen ist ein neuer Tag.“ Trotz oder vielleicht sogar wegen der angespannten aktuellen Lage halten die meisten Radebeuler*innen zusammen. Und auch wenn es natürlich Zweifelnde und Skeptiker*innen gibt, sind die Menschen füreinander da. Unter dem Strich haben das Engagement und die Hilfsbereitschaft in Radebeul sogar zugenommen, hat das Team vom Familienzentrum beobachtet.

Wissen als Scout teilen

Für das Familienzentrum ist Netzwerken wichtig, nicht nur für die Menschen in Radebeul, sondern auch in (Dach)Verbänden und Interessengemeinschaften. So ist es auch Anja Schenkel ein Anliegen, ihr Wissen und ihre Ideen zu teilen. Sie ist eine Scout beim Paritätischen Projekt #GleichImNetz, der Online-Vernetzungsplattform des Gesamtverbandes. Zu den Scouts kam sie durch ihre vorherige berufliche Station bei der Lebenshilfe Pirna-Sebnitz-Freital. Von den Treffen nimmt sie viel mit und hat selbst Inputs zum Tool Trello gegeben, welches sie für den Redaktionsplan und das Projektmanagement nutzt. „Wir sind Parität“ begeistert sie: „Ich finde das eine super Plattform, um sich auszutauschen und über den eigenen Tellerrand zu schauen.“ In das noch junge Jahr 2021 blicken Anja Schenkel und das Team des Familienzentrum Radebeul positiv: „Es ist spannend zu sehen, wie kreativ die Leute 2020 geworden sind. Uns begeistert, welche Ideen Menschen entwickeln, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken.“ 2020 haben sie gelehrt, dass vieles möglich ist und man immer einen Plan B parat haben sollte. Diesen Schwung würde das Team gern in das laufende Jahr transferieren. „Man muss einfach schauen was geht und nicht zuerst, was nicht geht.


Das Verbandsmagazin "Corona-Spezial II" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Corona-Spezial II" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Zum zweiten und hoffentlich letzten mal widmet sich die erste Ausgabe des aktuellen Verbandsmagazins des Paritätischen der Corona-Pandemie. Stand unser erstes Heft zum Thema noch unter dem Stern der Unsicherheit, wie die Wohlfahrt mit der neuen Situation umgehen könnte, wollen wir nun verstärkt auf Erfolge und Lernprozesse blicken.

Wir ziehen ein Zwischenfazit und werfen einen besonderen Blick auf die Pflege, die noch einmal ganz besonders von COVID-19 herausgefordert wurde. Dem Gesundheitssektor widmen wir uns besonders, daher gibt es Reportagen und Berichte aus unsere Mitgliedsorganisationen Lebenshilfe, ASB, Das Boot Wismar, das Familenzentrum Radebeul und der Deutschen Rheuma-Liga. Außerdem haben wir einiges aus der Selbsthilfe, den Jugendherbergen und den Kitas erfahren sowie Behindertenrechtsaktivistin Nancy Poser interiewt.

Außerdem berichten wir unter anderen über unsere große Kampagne für die sofortige Anhebung der Regelsätze auf 600 Euro plus weiteren Leistungen,von Vielfalt ohne Alternative und zu vielen weiteren Themen aus dem Gesamtverband.

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Portrait von Philipp Meinert

Philipp Meinert

Philipp Meinert verantwortet beim Paritätischen Gesamtverband den Bereich Presse und Redaktion. Für das Verbandsmagazin des Paritätischen Gesamtverbandes schreibt er Artikel und führt Interviews.

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