Im Interview erzählt Hedy Kerek-Bodden, Bundesvorsitzende von der Frauenselbsthilfe Krebs, wie ihre Organisation Gemeinnützigkeit gestaltet, lebt und zelebriert. Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnet der Verband in der heutigen Zeit?

Hedy Kerek-Bodden ist Vorsitzende im Frauenselbsthilfe Krebs Bundesverband e.V.

Was macht Ihre gemeinnützige Arbeit besonders?

Das Leitmotiv der Frauenselbsthilfe Krebs ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Wir als selbst Betroffene, unterstützen Menschen mit einer Krebserkrankung dabei die eigenen Ressourcen zu entdecken und zu nutzen. Unter dem Motto „Auffangen, Informieren, Begleiten“ machen wir viele hilfreiche Angebote, die vor allem durch das Engagement unserer ehrenamtlich arbeitenden Mitglieder funktionieren. Die Ehrenamtlichen übernehmen zum Beispiel die Leitung einer Selbsthilfe-Gruppe vor Ort, die Moderation unseres Internetforums, unsere Telefonberatung, die Betreuung unserer Netzwerke und vieles mehr. Außerdem engagieren wir uns ehrenamtlich in vielen wichtigen gesundheitspolitischen und medizinischen Gremien und tragen durch unsere Betroffenenkompetenz dazu bei, die onkologische Versorgung in Deutschland zu verbessern.

Mit unseren niederschwelligen psychosozialen Angeboten helfen wir den Betroffenen und deren Angehörigen, um in der persönlichen Ausnahmesituation eine Anlaufstelle zu finden. Durch unser ehrenamtliches Engagement entlasten wir zudem die Gesundheitskassen und das Sozialsystem.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

Wir machen den Betroffenen viele Angebote, wie sie sich in der FSH engagieren können. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit, sich in ein Gruppenleitungsteam wählen zu lassen. Wer hier eine Aufgabe übernimmt, wird dann in verschiedenen Qualifizierungsmodulen auf die Aufgabe der Gruppenleitung vorbereitet und begleitet. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich in der Telefonberatung, der Moderation einer Online-Selbsthilfegruppe oder des Internetforums und als Patientenvertreterin zu engagieren. Für alle Aufgaben gibt es spezielle Qualifizierungen und regelmäßige Supervisionsangebote.

Um neue Betroffene in unsere Arbeit einzubeziehen, gibt es seit ein paar Jahren die Möglichkeit, sich zum Selbsthilfe-Coach ausbilden zu lassen. In dieser Qualifizierung bekommen die Ehrenamtlichen eine praxisnahe Einführung in das ehrenamtliche Engagement in der FSH. Diese Ausbildung lässt die Teilnehmenden auch persönlich wachsen.

Oft ist es so, dass Betroffene in einer Zeit, in der die eigene Krankheit bewältigt ist, das Gefühl haben: Mir wurde geholfen und ich möchte das weitergeben und auch anderen helfen.

Das Haus der Krebs-Selbsthilfe in der Thomas-Mann-Straße in Bonn.

Wieso sind gemeinnützige Einrichtungen wie Ihre in diesen Zeiten unter Druck?

Wir stehen unter Druck, weil sich immer weniger Menschen mit oder nach einer Krebserkrankung finden, die bereit sind, ein langfristiges und kontinuierliches Ehrenamt in der FSH zu übernehmen. Die Gründe dafür sind vielfältig und aus anderen gesellschaftlichen Bereichen gut bekannt. In der Krebs-Selbsthilfe gibt es jedoch zusätzlich noch eine weitere und im Grunde erfreuliche Ursache dafür:

Die Rate der Frühverrentungen nach einer Krebserkrankung ist stark gesunken. Es kehren also immer mehr Betroffene nach Abschluss der Therapie in ihren Beruf zurück. Die berufliche Tätigkeit ist für die Betroffenen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen wichtig, sondern insbesondere auch in Bezug auf den Aspekt der Teilhabe am Leben. Die soziale Einbindung am Arbeitsplatz, die dort gewachsenen Beziehungen, die erreichten Qualifikationen und Erfahrungen stellen zusätzlich zum privaten Umfeld einen bedeutenden identitätsstiftenden Lebensbereich dar. So ist die Rückkehr ins Erwerbsleben oft Teil einer Rückkehr zur Normalität.

Für die Frauenselbsthilfe Krebs stellt diese positive Entwicklung einen großen Nachteil dar, denn es fehlen diejenigen, die Zeit und Kraft haben, sich zusätzlich zur beruflichen Tätigkeit ehrenamtlich zu engagieren. Viele kämpfen häufig noch mit den Spätfolgen ihrer eigenen Erkrankung. Sie brauchen ihre ganze Kraft, um den beruflichen und familiären Alltag zu meistern. Ein zusätzliches Ehrenamt ist da häufig überfordernd.

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Einrichtungen beitragen?

Als Organisation müssen wir einen Rahmen schaffen, der es unseren Mitgliedern ermöglicht, die übernommenen Aufgaben nicht als Belastung, sondern als Bereicherung ihres Alltags zu empfinden. Das kann z.B. die Unterstützung bei administrativen Aufgaben durch hauptamtlich Beschäftigte der Organisation sein.

Insbesondere komplexe administrative Regelungen und bürokratischer Aufwand werden von den Engagierten oft als Hinderungsgrund angegeben, um ein Amt zu übernehmen. Bürokratieabbau und einfache Verfahren könnten helfen, unsere Kernaufgaben einfacher zu erfüllen. Auch eine Unterstützung bei Haftungsfragen und dadurch eine Entschärfung der Haftung kann bürgerschaftliches Engagement attraktiver machen. Ein Beispiel hierzu ist die „DSGVO“, die sicherlich wichtig ist, jedoch auch mit vielen Regeln zum Datenschutz bzw. den Möglichkeiten verbunden, diese zu verletzen.

Zugleich halten wir es für eine sehr wichtige gesellschaftliche Aufgabe, Maßnahmen zu entwickeln, die sinnvolle und nachhaltige ehrenamtliche Arbeit ermöglichen und sichern. Es muss ein gesellschaftliches Ziel sein, Anreize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement zu schaffen und bestehende Hindernisse bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten abzubauen.

Um die Ehrenamtskultur zu stärken, sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen so weiterentwickelt werden, dass sie nicht einengend wirken, sondern ehrenamtliches Engagement entfalten und wachsen lassen.

Wir fordern beispielsweise eine Erhöhung der Ehrenamtspauschale auf den Betrag der Übungsleiterpauschale und eine Ausweitung der Übungsleiterpauschale auf ehrenamtliche Tätigkeiten in der gesundheitspolitischen Interessensvertretung und Patientenbeteiligung.

Eine weitere Maßnahme könnte sein, dass unsere Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen als Bildungsurlaub anerkannt werden. Und auch großzügige Freistellungen und Regelungen für Arbeitszeitgutschriften, Anrechnung von Rentenpunkten sowie Vergünstigungen, z.B. für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, könnten eine gute Anerkennung für ehrenamtliches Engagement sein.

Diese Maßnahmen könnten die Wertschätzung des Ehrenamts wahrhaft mit Leben füllen und mehr Menschen motivieren, sich zu engagieren.

Diese Maßnahmen werden vom Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V., dem Dachverband von zehn gemeinnützigen, unabhängigen und bundesweit agierenden Verbänden der Krebs-Selbsthilfe - zu denen auch die Frauenselbsthilfe Krebs gehört - gefordert.


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief der Frauenselbsthilfe Krebs als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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