Cannabis könnte bald legalisiert werden. Unsere Fachreferentin Gela Sauermann kommentiert aktuelle Entwicklungen und gibt einen Ausblick auf die potentiellen Folgen.

Mit der Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene für Genusszwecke wurde im Koalitionsvertrag 2021 die drogenpolitische Wende eingeläutet. „Mehr Fortschritt wagen“, endlich auch in der Suchtpolitik!

Deutschland setzte Jahrzehnte in der Drogenpolitik wirkungslos auf Abschreckung, Kriminalisierung und Bestrafung. Weder führte die Angst vor einer Strafverfolgung zu einer Konsumreduktion von Cannabis, noch konnte der Schwarzmarkt für illegale Drogen wirksam bekämpft werden. Kriminalisiert und bestraft wurden fast nur Konsument*innen.

Der Paritätische begrüßte deshalb die längst überfällige Wende in der deutschen Cannabispolitik. Nach dem umfangreichen Konsultationsmarathon „Cannabis - aber sicher“, verabschiedete das Bundeskabinett im Oktober 2022 umfangreiche Eckpunkte. Die Regierungseckpunkte umfassten die Einführung einer kontrollierten legalen Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene und verfolgten das Ziel, Jugendschutz und Gesundheitsschutz zu verbessern, Konsument*innen zu entkriminalisieren sowie den Schwarzmarkt einzudämmen.

Der Paritätische fordert diese Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen durch eine marktregulierte Cannabispolitik, die auf Gesundheits- und Verbraucherschutz setzt.

Statt eines Gesetzentwurfs kamen Argumente, die wenig Gutes ahnen ließen. Statt mutig einen Gesetzentwurf vorzulegen, wurden im Mai 2023 veränderte und eingedampfte, neue Eckpunkte vorgestellt. Statt den Markt über lizenzierte Fachgeschäfte für Cannabis zu regulieren, soll nunmehr der Zugang zu kontrolliertem Cannabis nur über vereinsrechtlich organisierte Anbauvereinigungen und eine Mitgliedschaft in diesen sogenannten Anbauclubs ermöglicht werden. Diese neuen Eckpunkte basieren auf einem 2 Säulen Modell. In einer ersten Säule sollen zunächst Anbauvereinigungen und Eigenanbau gesetzlich erlaubt werden. Von lizenzierten Fachgeschäften zur Abgabe von Cannabis ist keine Rede mehr. In einer zweiten Säule soll die Abgabe von Cannabis an Erwachsene im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Modellprojekten in einem späteren Gesetzgebungsverfahren erprobt werden.

Gabriele Sauermann, Referentin für Suchthilfe

Der Bundesgesundheitsminister macht hier ohne erkennbare Not eine Kehrtwende und es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Modellprojekte erst in einem späteren Gesetzgebungsverfahren geregelt werden sollen. Warum nicht gleichzeitig und parallel Beides einführen? Damit wird die Chance verpasst, beide Abgabemöglichkeiten - Anbauclub und modellhaftes Fachgeschäft - zu vergleichen, was Akzeptanz, Nachfrage, Verbraucherschutz usw. betrifft. Vielmehr besteht jetzt die Gefahr, dass die zweite Säule komplett unter den Tisch fällt und gar nicht umgesetzt wird.

Was aber jetzt schon vor Einführung des Gesetzes dringend geregelt werden muss, ist der bundesweite Aufbau von Aufklärung und Suchtprävention und zwar konkret in den Lebenswelten der Menschen: in Schule, Ausbildung, Betrieben, Freizeit und Sportvereinen u.a.

Die Suchtberatung vor Ort ist der erste und meist wichtigste Ansprechpartner für Konsument*innen, Abhängigkeitserkrankte und ihre Angehörigen, aber auch für Institutionen wie Schule, Arbeitgeber, Freizeiteinrichtungen, Kliniken und eben zukünftig auch für Anbauclubs und Fachgeschäfte für Cannabis. Um dieses Aufgabenspektrum von Aufklärung, Prävention, Beratung und Vermittlung zu erfüllen, müssen Suchtberatungsstellen vor Ort substantiell und nachhaltig finanziert werden. Schon jetzt stehen viele Suchtberatungsstellen aufgrund prekärer Finanzierung vor dem finanziellen Aus.

Daneben muss das Drug-Checking jetzt unverzüglich in ganz Deutschland ermöglicht werden, damit Konsument*innen erworbene Drogen auf Verunreinigungen und Zusatzdrogen prüfen lassen können. Eine wichtige, von mir aus auch dritte Säule, wäre dann die Kampagne „It is legal, better don‘t use“.


Drogen sind Teil unserer Lebensrealität. In Maßen können sie unproblematisch sein. Die Zigarette in der Pause beispielsweise ist ungesund, aber nicht so problematisch wie eine Pfeife mit Crystal Meth. Wenn der Konsum das Leben (fremd-)bestimmt, muss Hilfe her. Hier haben Paritätische Einrichtungen eine große Auswahl an Hilfsmöglichkeiten. Um die geht es in dieser Ausgabe unseres digitalen Mitgliedermagazins.

Wir besuchen Druckräume, Technopartys und Einrichtungen der Drogenhilfe. Wir sprechen mit Rhobbin, der mit der Selbsthilfe clean geworden ist und es bleibt, mit dem präventiven Theaterprojekt RequiSiT und FitKids, die sich um die Kinder süchtiger Eltern kümmern. Einen Blick auf die Gegenwart der Cannabisdebatte werfen wir ebenso wie in die Zukunft der Suchthilfe mit DigiSucht. Der Popstar Max Mutzke gewährte uns besonders private Eindrücke in sein Leben als Kind einer alkoholkranken Mutter. Und Paritätische Einrichtungen aus der Suchthilfe stellen sich selbst vor.

Und auch zahlreiche Neuigkeiten aus dem Gesamtverband gibt es, etwa das neue Projekt "Ausgefaked!" Jetzt gleich reinblättern!

 

1 Kommentar

marina struzyna schrieb 11.07.2023

Sorry, ich kann diesem Beitrag nur kopfschüttelnd folgen. Heißt das also bekiffte und im Rausch befindliche Personen dürfen nun den Alltag aud Deutschlands Straßen diktieren, beherrschen, nur weil JEDE Regierung bei Drogen jämmerlich versagte u. eher hoffte, das Volk wirds schon richten? Was kosten uns diese Abhängigen denn seit der Wende? Darüber schweigen alle, aber gegen Kassenpat. darf jeder Hochfinanzierte schießen? Die Folgen dieser - in Holland abschaffenden - Politik zahlen doch auch wieder nur wir Kassenpat. u. was ist mit den Toten im Straßenverkehr durch bekiffte junge PKW-Lenker? Akzeptieren wir die dann als natürliche Auslese oder eben Kollateralschäden?

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Gabriele Sauermann

Gabriele Sauermann ist Referentin für Suchthilfe beim Paritätischen Gesamtverband.

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