Die promovierte Kunsthistorikerin, die Grundsicherung im Alter erhält, der 50-jährige Bauingenieur, der aufgrund von Krankheit berufsunfähig ist, die alleinerziehende Krankenschwester mit zwei Kindern, die aus Syrien zugewanderte Familie mit sechs Kindern: all diese Menschen sind als „KulturGäste“ bei dem Verein KulturRaum München angemeldet. Weil sie ein geringes Einkommen haben, können sie sich keine Eintrittskarten für Theater, Kino oder Konzerte leisten. Doch Geld ist nicht der einzige Grund warum die Menschen der Kultur fernbleiben. Dieser Beitrag soll zeigen, wie KulturRaum München Menschen persönlich zu Kultur einlädt und so erfolgreich Barrieren abbaut.

Im persönlichen Gespräch macht KulturRaum München auf kostenlose Kultur- und Freizeit-Angebote aufmerksam. © KulturRaum München e.V.

KulturRaum München hat es sich zum Ziel gesetzt, für alle Menschen in der Stadt Zugang zu Kultur zu schaffen – unabhängig von Herkunft, Alter oder Geldbeutel. 

Auch der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat es wieder deutlich gemacht: Die offensichtlichste Hürde für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einer Stadt oder einer Kommune sind die finanziellen Mittel. Deshalb können sich Münchner*innen mit geringem Einkommen bei uns anmelden

Die ehrenamtlichen Helfer*innen bei KulturRaum München vermitteln auf verschiedenen Wegen kostenlose Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen an Menschen mit geringem Einkommen. 

Doch was genau bedeutet „vermitteln“? Ist es mit einem kurzen Anruf getan? Was verbirgt sich dahinter und welche Hindernisse gilt es zu überwinden? 
In diesem Beitrag wollen wir Ihnen/euch zeigen, welche weitere Barrieren neben der Geldfrage Kulturbesuchen entgegenstehen und wie wir diese erfolgreich abbauen. 

Wissenslücken füllen 

Viele Bürger*innen sind über die Angebote, die ihre Stadt oder ihre Kommune für Menschen mit geringem Einkommen bietet, nicht informiert. In vielen Städten können Geringverdiener*innen zum Beispiel einen Pass erhalten, der Ermäßigungen oder kostenlosen Eintritt in städtische Einrichtungen wie Museen ermöglicht. Manche Menschen wissen nicht, was sie bei einem Theaterbesuch erwartet und sind verunsichert, ob sie sich dort richtig verhalten. 

Wir versuchen, diese Wissenslücken zu füllen indem wir im persönlichen Gespräch auf kostenlose Kultur- und Freizeit-Angebote aufmerksam machen. Alle offenen Fragen im Zusammenhang mit einem Veranstaltungsbesuch können besprochen werden: Wie komme ich dorthin? Wie erhalte ich mein Ticket? Muss ich etwas Besonderes anziehen? Was gibt es zu beachten? Nicht selten fühlen sich KulturGäste durch das Gespräch ermutigt einmal etwas Neues auszuprobieren: 
 

„Das Angebot ist breit gefächert. Ich bin über KulturRaum in Veranstaltungen gewesen, die ich mir nie bewusst ausgesucht hätte, die aber geistig sehr anregend waren.“ 

 

KulturKinder vermittelt kostenfreie Karten für Kulturerlebnisse an Kinder bis zu 13 Jahren. © Dimitri Davies Fotostudio

Auf persönliche Einschränkungen Rücksicht nehmen 

Für Menschen, die aufgrund ihrer Einschränkungen Begleitung benötigen, ermöglichen wir KulturPatenschaften. Wir informieren zur Barrierefreiheit von Kulturorten, organisieren Rollstuhlplätze und klären, ob die Mitnahme eines Rollators möglich ist. 

Mit einem Anmeldebogen, Flyern und Website in einfacher oder leichter Sprache helfen wir Gästen mit kognitiven Einschränkungen an unserem Angebot teilzunehmen. Bei der Auswahl der Veranstaltungen können wir flexibel und individuell die Bedürfnisse berücksichtigen. 

Für Menschen mit psychischen Problemen ist es besonders wichtig, dass wir über die Inhalte der Veranstaltungen ausführlich informieren. Gibt es Gewalt auf der Bühne? Welche Themen werden verhandelt? Es kommt vor, dass wir eine Veranstaltung aus diesen Gründen nicht zur Vermittlung annehmen können. Darüber bleiben wir im engen Austausch mit unseren Kulturpartnern. Bei Personen mit psychischen Problemen sind Gutscheine zur freien Terminwahl sehr begehrt, weil sie oft mit stark schwankenden Tagesverfassungen kämpfen oder sehr kurzfristig und plötzlich unpässlich sind. 
Mit blinden, gehörlosen und sprachlich eingeschränkten Gästen prüfen wir gemeinsam, welche Veranstaltungen geeignet sind und beraten entsprechend. 

Eine gemeinsame Sprache finden 

Circa 60 % der Münchner KulturGäste sind nicht mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen. Deshalb gibt es unseren Anmelde-Flyer in einfacher Sprache. Bei der Anmeldung helfen auch unsere Ehrenamtlichen bei Kultur.vor.Ort und die Sozialpartner. Wir bieten Vermittlung in einigen anderen Sprachen an. Zusammen mit den KulturGästen können passende Veranstaltungen gewählt werden, wie zum Beispiel Konzerte oder Tanz. 

Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass sprachliche Hürden beim eigentlichen Kulturbesuch oft weniger ins Gewicht fallen und auch ein textlastiger Abend für Gäste mit geringen Deutschkenntnissen sehr wertvoll sein kann: 
 

„Unvergesslich ist mir ein älterer Herr türkischer Herkunft, der sich trotz schlechter Sprachkenntnisse nicht vom Besuch einer „Don Karlos“-Vorstellung – die doch sehr textlastig ist - abbringen lassen wollte. Er meldete sich nochmal, um mitzuteilen, dass er einen wunderbaren Abend hatte.“ berichtet eine Vermittlerin. 

Angebot „Digitale Hilfe am Telefon und an der Theke“ © KulturRaum München e.V.

Die Digitalisierung bedenken

Menschen, die bislang wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien haben, stehen heute vor der Herausforderung, dass vieles über das Internet läuft. Die meisten Freizeit-, Sport- und Kulturangebote sind oft nur digital abrufbar oder können nur online gebucht werden. 

Auch bei unseren KulturGästen verfügen viele über keine Email-Adresse und Internetzugang. Für sie ist die telefonische Kartenvermittlung und die Vermittlung vor Ort an den Lebensmittelausgabestellen besonders wichtig. 

Um die Medienkompetenz zu verbessern, haben wir gemeinsam mit dem Medienzentrum des JFF München das Angebot „Digitale Hilfe am Telefon und an der Theke“ entwickelt, das auch unseren KulturGästen offen steht. 

Bedarfsgerechte Angebote machen 

Manchmal passen die Rahmenbedingungen der Kultur-Angebote nicht zu den Bedürfnissen. Gerade ältere Menschen sind ungern abends unterwegs und freuen sich über Events die tagsüber stattfinden. Für Gäste, die aufgrund ihrer Einschränkungen das Haus nicht verlassen können, haben wir die „Kulturpost“ erfunden – neue, von Verlagen gespendete CDs, Bücher und Bastelmaterialien schicken wir nach Hause. Für unsere Sozialpartner können wir mobile Kulturangebote vor Ort in den Einrichtungen organisieren. Wir probieren auch immer wieder neue eigene Formate aus, etwa digitale Kultursalons oder Gästecafés. Das GästeCafé findet monatlich in unterschiedlichen Stadtteilen statt – bei Kaffee, Kuchen & Kulturgenuss lernen KulturGäste Stadtteilkulturzentren kennen und können untereinander Kontakte knüpfen. 
 

„Gestern habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und bin zum ersten Mal allein in das GästeCafé gegangen. Es war so schön, diese Herzlichkeit wieder zu spüren, die von euch allen ausgeht, der supergute Kuchen, der herzliche Empfang, jeder war bemüht uns zu verwöhnen. Es war herrlich, danke für diesen schönen Nachmittag, ich habe tatsächlich total abschalten und meine Sorgen vergessen können. Der Höhepunkt des Ganzen war dann noch der Pantomime, was der gezeigt hat war toll, sehr sehr unterhaltsam!“ so eine KulturGästin. 

Die Inhalte erschließen 

Manche Inhalte sind schwer zugänglich und für einen Teil der Gäste auf den ersten Blick nicht interessant. Das kann an psychisch belastenden Themen oder Gewalt auf der Bühne liegen. Manchmal sind bereits die Beschreibungstexte schwer zu verstehen. Wir versuchen bei den Vermittler*innen hierfür ein Bewusstsein zu schaffen und übersetzen oft selbst Texte in einfache Sprache. Unseren Vermittler*innen bieten wir Kulturbesuche an, damit sie das Angebot besser kennenlernen und aus eigener Erfahrung vermitteln können. Wir haben bereits gute Erfahrungen mit der Kooperation mit experimentellen Festivals gemacht, die extra für KulturGäste und Ehrenamtliche Ihre Produktionen vorstellen. Außerdem sind alle herzlich eingeladen, sich unserem „Erkundungsteam“ anzuschließen. Nach dem Kultur-Besuch tauschen sich dort die Teilnehmer*innen über ihre Erfahrungen aus. 
 

Ein Konzert des Gästecafés © KulturRaum München e.V.

Gesellschaftlichen Vorurteilen entgegenwirken

Täglich begegnen wir Vorurteilen gegenüber Menschen, die in Armut leben. Kulturveranstalter befürchten, dass KulturGäste ihre Veranstaltungen stören könnten. Wir werden gefragt, warum man wertvolle Karten einfach so verschenken sollte? Vorurteile oder gar Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder Position wird als Klassismus bezeichnet. Oft wird davon ausgegangen, dass Menschen die staatliche Unterstützung benötigen, viel Zeit haben und keiner geregelten Tätigkeit nachgehen – das Gegenteil ist richtig: Viele sind berufstätig, leben aber aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse trotzdem am Existenzminimum. Ein immer wichtigerer Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit besteht deshalb darin, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Mangel an finanziellen Mitteln nicht gleichzusetzen ist mit „sozial schwach“ oder bildungsfern.

In der Kommunikation mit Kooperationspartnern, politischen Entscheidungsträger*innen und potentiellen Förderern weisen wir darauf hin, dass die Gruppe unserer KulturGäste sehr heterogen ist. Darunter sind kulturaffine Rentner*innen, Familien mit geringem Einkommen, Künstler*innen und Freiberufler aus der Kreativbranche, Menschen mit Fluchterfahrungen oder mit Behinderungen. Jüngere haben oft mehrere Jobs, Alleinerziehende können nur Teilzeit arbeiten und Senior*innen haben oft kleine Nebenjobs oder sind viele Stunden ehrenamtlich tätig. Bei der Kartenvermittlung gelten selbstverständlich Spielregeln, an die sich alle halten müssen. 
Das Geschenk der Kulturkarten ist deshalb ein Gewinn für alle Beteiligten: KulturGäste können am gesellschaftlichen Leben teilhaben, Kulturpartner erhalten Zugang zu einem Publikum, welches sonst nicht gekommen wäre. Aus finanziellen Gründen, aber auch aus vielen anderen Gründen. Das Publikum wird bunter und vielfältiger, leere Reihen füllen sich. 

Sich gemeinsam stärker machen

Um der kulturellen Teilhabe und ihren Barrieren deutschlandweit mehr Gehör zu verschaffen, haben wir uns mit vielen anderen Initiativen in der „Bundesvereinigung Kulturelle Teilhabe“ (BVKT) zusammengeschlossen. 

Wir freuen uns über Kommentare, Anmerkungen und Feedback zum Thema an: presse[at]kulturraum-muenchen.de!

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KulturRaum München e.V. will für alle Menschen Zugang zu Kultur zu schaffen – unabhängig von Herkunft, Alter oder Geldbeutel.

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