Dr. Dirk Kratz vom Therapieverbund Ludwigsmühle, einem Träger verschiedener Suchthilfeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz, berichtet wie sie in ihrer Organisation das Thema Digitalisierung angegangen sind. Angefangen von der Modernisierung der digitalen Kommunikation über den Start des ersten deutschsprachigen Suchthilfepodcasts bis hin zur Erstellung einer eigenen Digitalstrategie gab und gibt es viele alte und neue Hürden zu nehmen. Das Gespräch ist im Rahmen des 11. Digi-Dienstags am 16.11.2020 entstanden.

Dirk, ihr habt das Thema Digitalisierung schon vor Corona angepackt. Was habt ihr damals gemacht? Wie seid ihr vorgegangen?

Wir haben zunächst auf einem ganz kleinen Level gestartet und den internen Digitalisierungsprozess in unserem Träger gestartet. Wir, der Therapieverbund Ludwigsmühle, sind ein klassischer Suchthilfeträger mit ungefähr 150 Mitarbeiter*innen, zwei kleineren Kliniken und Beratungsstellen. Den Therapieverbund gibt es jetzt auch schon 40 Jahre und klar, als ich den Posten des Geschäftsführers und nach 35 Jahren den Staffelstab übernommen habe, gab es natürlich einige staubige Ecken. Das Erste, das ich angepackt habe, war unsere Homepage, die ist einfach das Einfallstor ins große, weite Netz da draußen.
Anfang 2018 war ich zu Gast im Podcast von Marc Hasselbach, er ist gerade in Digitalisierungsthemen immer wieder für uns tätig, in der Episode haben wir über Digitalisierung in der Suchthilfe gesprochen und uns ist so Einiges aufgefallen. Die Ansprechbarkeit der Homepage, aber auch und vor allem die Ansprache der Klient*innen oder der Rehabilitation waren nicht mehr zeitgemäß. Da war der erste Punkt schon gefunden. Wie sprechen wir eigentlich unsere Klient*innen direkt an? Bis dato hatten sich Flyer und Informationen immer an Sozialarbeiter*innen gerichtet und damit stand der erste Aspekt fest, den wir angehen wollten - wir müssen an der digitalen Kommunikation arbeiten.

Also stand die Kommunikation erst mal im Fokus. Gemeinsam mit Marc haben wir ein einjähriges Projekt gestartet, „Freiheit ohne Druck“, und gemeinsam so einiges neu entwickelt. Direkt zu Beginn haben wir nochmal unsere Homepage neu gemacht und ganz spezifisch überlegt: welchen dynamischen Content wollen wir einbauen? Was können wir auf unserer Homepage anbieten, dass sie nicht stillsteht und wieder droht zu verstauben.
Im nächsten Schritt haben wir Workshops mit unseren Klient*innen organisiert und sie direkt gefragt, was sie wollen und wie sie informiert werden möchten. Die Klient*innen waren schnell dabei und auch bereit, ihre Geschichten in der Öffentlichkeit zu erzählen. Das vor der Kamera mit Gesicht zu machen war uns zu heikel, deshalb die Idee des Podcasts.
In den ersten Folgen haben wir zunächst darüber gesprochen, was wir in unseren Kliniken eigentlich machen. Wie läuft so eine Therapie ab? Aber wir haben auch direkt in Folge 1 über eines der Hauptthemen gesprochen, den Rückfall. So ging es los und so hat der Podcast sich auch immer weiterentwickelt.

 

Ihr hattet eine Digitalisierungsstrategie, habt in eurem Betrieb Workshops durchgeführt und somit einen Prozess angeleiert, um neben dem Podcast auch weitere neue Strategien zur Kommunikation zu entwickeln. Wie lief das ab?

Diese Prozesse laufen bis heute. Viel hing tatsächlich an meiner persönlichen Motivation, den Podcast zu starten; hätte es die nicht gegeben, wären wir heute wahrscheinlich nicht viel weiter. Leider ist es schwierig, andere Mitarbeitende zu finden, die mit einsteigen möchten. Aber wir lassen nicht locker, von Beginn an haben wir Kolleg*innen als Interviewpartner*innen in den Podcast eingebunden, um zu zeigen, wie wichtig diese Prozesse sind.
Unsere Digitalisierungsstrategie fokussiert sich auf die digitale Kommunikation. Wir wollten das Ganze größer aufziehen und alle mitnehmen. Gefördert wurden wir mit der Förderung Unternehmenswert Mensch Plus. Zusammengearbeitet haben wir mit einer gemeinnützigen Beratungs- und Bildungsagentur, gemeinsam haben wir Workshops organisiert. Wir haben uns mit unseren Mitarbeiter*innen überlegt: Wo findet Digitalisierung bei uns überhaupt statt und wo könnte sie noch stattfinden? Daraus haben sich dann zwei Schwerpunkte ergeben.
Zum Einen die Digitalisierung unserer Dokumentations- und Verwaltungsprozesse, zum Anderen die Digitalisierung in Beratung und Therapie. Wir haben uns über Messenger-Dienste und Online-Therapie unterhalten, unsere Mitarbeiter*innen haben verschiedene Apps angeschaut und getestet, die sie in der Therapie nutzen könnten. Für alle Beteiligten waren diese Workshops wichtig, um einen Einstieg in die verschiedenen Thematiken und erste Berührungspunkte zu schaffen. Vor allem habe ich als Geschäftsführer sehen können, welche Mitarbeiter*innen generell Interesse am Thema Digitalisierung haben, sich vielleicht schon in anderen Kontexten damit beschäftigt haben. Auf die konnte ich dann gezielt zu gehen, sie in weitere Prozesse einbinden und sie zu Multiplikator*innen machen. Aus all‘ dem ist dann ein agiler Arbeitskreis entstanden, die AG Digitales.
Wir haben viele Dinge ausprobiert, experimentiert und am Ende war das unser Weg. Zunächst erstmal nicht nach einem großen Gesamtkonzept vorzugehen, sondern kleine Lösungen entwickeln. Für nächstes Jahr planen wir all‘ diese dann zu einer Komplettlösung zusammenzuführen.

 

Wie viel Zeit und Aufwand hat das für dich bedeutet? Ihr habt die AG Digitales, die sich mit Digitalisierung beschäftigt, oder liegen die Prozesse doch zum größten Teil weiterhin bei dir?

Viele Dinge liegen bei mir, aber gerade in den letzten zwei Jahren hat Corona Vieles beschleunigt, auch bei den Mitarbeiter*innen. So hat einer der Mitarbeiter die Initiative ergriffen und uns einen Server für Videokonferenzen ermöglicht. Wir haben auf der Ebene der Mitarbeiter*innen, die in den ambulanten Diensten mit Jugendlichen arbeiten, einen Messenger-Dienst eingeführt. Und getestet, wie kommt so ein Messenger bei den Jugendlichen an? Klappt das überhaupt? Das hat alles geklappt und innerhalb von einem Monat hatten wir den Messenger eingeführt. So entstehen diese vielen kleinen Insellösungen und Innovationen.

 

Nehmen wir das doch als Ansatzpunkt, um in die Zukunft zu gucken. Was gibt es für Herausforderungen für die Suchthilfe insgesamt? Wo siehst du die größten Bedarfe? Wenn du auf deinen Träger schaust, aber auch auf die Branche insgesamt?

Da gibt es unterschiedliche Haltungen und Strategien. Einige kaufen sich die Komplettlösung ein, es sollte aber auch eine Suchtplattform entstehen. Eine Plattform auf der man alles machen kann und die Träger sich praktisch nicht mehr selbst digitalisieren müssen. Dort sollte es Video- und Onlineberatung geben, Terminvergabe und verschiedene persönliche Angebote für Klient*innen, wie etwa die Möglichkeit, Tagebuch zu führen. Das sollte dann verbunden werden mit dem Online Zugangsgesetz. Aktuell entwickeln sich die beiden Dinge aber wieder auseinander und das hat sich mittlerweile erledigt.
Die Bedarfe in der Suchthilfe sind einfach sehr vielfältig, so macht sich jeder Suchthilfeträger auf den eigenen Weg. Das ist super, aber auch schade, dass es keinen gemeinsamen Prozess für die gesamte Suchthilfe gibt und vor allem leider oft der Austausch fehlt. Alle Träger gehen die Digitalisierung auf ihre Weise an, finden individuelle Insellösungen, aber wir könnten viel mehr voneinander lernen und profitieren. Ich glaube, hier brauchen wir in Zukunft mehr Initiative, auch auf verbandlicher Ebene, um den Austausch anzuregen und ihm Räume zu geben.
 

Lieber Dirk, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin bei Eurer tollen Arbeit!


Jeder dritte Dienstag ist Digi-Dienstag!

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Portrait von Lena Plaut

Lena Plaut

Lena Plaut ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Online-Scouts des Multiplikator*innen-Programms des Paritätischen.

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