Vor Corona sind alle gleich? Dass nicht nur Alter und Vorerkrankungen, sondern auch die soziale Frage einen Unterschied machen, wird in der Debatte um die geplante Aufhebung der Impfpriorisierung voraussichtlich zum 07. Juni zu oft vernachlässigt. Höchste Zeit, dass sich das ändert, fordert Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes.
Das Kompetenznetz Public Health COVID 19, ein Zusammenschluss von mehr als 20 Fachgesellschaften unter anderem aus der Sozialmedizin, hat bereits im Frühjahr 2020 – damals gestützt auf Studien aus Großbritannien und den USA – darauf hingewiesen, dass Menschen in Armutslagen ein ungefähr doppelt so hohes Corona-Infektionsrisiko tragen wie wohlhabende Menschen. Dies erklärt sich aus beengten Wohnverhältnissen, aus Arbeitsbedingungen, in denen Abstände und Lüftung Infektionsrisiken in sich bergen und aus der notwendig häufigeren Benutzung des ÖPNV sowie aus dem so genannten Präventionsdilemma. Dieses besagt, dass Präventionsbotschaften gerade bei den Menschen am schlechtesten ankommen, die sie am dringendsten brauchen.
Schon damals wären zielgruppenspezifische Präventionskampagnen für die damit umrissenen Bevölkerungsgruppen, wegen der starken Überlappungen mit Armutslagen auch für Menschen mit Migrationshintergrund, notwendig und möglich gewesen. Diese Chance wurde verpasst, die Folgen sehen wir heute, auch in der Krankenversorgung, einschließlich der Belegung von Intensivbetten.
Menschen in Armut werden in vielfacher Hinsicht härter von der Pandemie getroffen
Nicht nur das Infektionsrisiko ist bei von Armut Betroffenen höher: Erkranken sie an COVID 19, haben sie auch ein erheblich höheres Risiko für einen schweren Verlauf oder gar den Tod. Dies liegt zum einen daran, dass die bekannten Vorerkrankungen und Risikofaktoren in den unteren Sozialschichten sehr viel häufiger auftreten als in den oberen Sozialschichten. Eine weitere Ursache: Armut bedeutet bekanntlich sehr häufig Dauerstress und dieser schwächt das Immunsystem. Menschen aus Armutslagen sind deshalb erheblich vulnerabler.
Die in Deutschland ohnehin sehr ausgeprägte sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen ist gewissermaßen der Humus, zu der die Corona-bedingte Ungleichheit verschärfend hinzukommt.
Bewältigung von Lockdown und ökonomische sowie soziale Folgen der Pandemie sind für Armutsbetroffene besonders problematisch
Zudem leiden Menschen in Armutslagen auch erheblich stärker als wohlhabende Menschen unter der Coronaprävention, namentlich dem Lockdown, in kleineren engeren Wohnungen, wo sie u.a. mit den Problemen ihrer Kinder beim Homeschooling bei oftmals mangelnder technischer Ausstattung konfrontiert sind.
Darüber hinaus leiden Menschen aus Armutslagen auch stärker unter den ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie.
Debatte um Impriorisierung blendet soziale Frage aus
Bei der Impfpriorisierung wurden ausschließlich physische Faktoren also Alter und Vorerkrankungen berücksichtigt. Soziale Faktoren wie Armut oder gar Wohnungslosigkeit wurden nicht einbezogen. Das ist leider typisch für die deutsche Gesundheitspolitik.
Es ist deshalb höchste Zeit, diese absehbare Schieflage im Infektionsschutz zu beseitigen und in diesen Gruppen niedrigschwellig zu impfen. Schließlich tut COVID 19 das, was noch alle Infektionsseuchen in der Geschichte getan hat: Die Epidemie geht die soziale Stufenleiter nach unten.
Schneller Zugang zu Impfangeboten für vulnerable Gruppen notwendig
Ohne weitere Verzögerungen sollten besonders vulnerablen Gruppen ohne bürokratische Schwellen geimpft werden. Modellprojekte wie in Köln-Chorweiler kann da nur ein Modellprojekt sein sollten zügig ausgedehnt werden. Auch die Straßenkliniken und Ambulanz-Busse, wie in Berlin z.B. die Jenny de la Torre Stiftung oder die Malteser, die auch Menschen ohne Krankenversicherung versorgen, sollten jetzt prioritär Impfstoff erhalten.