Die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V. ist eine Selbsthilfeorganisation, in der sich Menschen mit der rheumatischen Krankheit Morbus Bechterew gegenseitig unterstützen. Der Verein wird auf allen Ebenen von Betroffenen organisiert, sodass die Arbeit oftmals auch ehrenamtlich strukturiert ist. Doch die Bedingungen für ehrenamtliches Engagement haben sich in der letzten Zeit drastisch verändert. Was das für die Zukunft der DVMB bedeutet, erläutert die Geschäftsführerin Evelin Schulz im Interview.

Evelin Schulz ist die Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V.

Was macht die gemeinnützige Arbeit der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. besonders?

Die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V. (DVMB) ist eine 43-jährige Organisation der Selbsthilfe, in der sich Morbus Bechterew erkrankte Menschen gegenseitig unterstützen. Unsere Aufgabe ist es, in Deutschland insgesamt 450.00 Erkrankte in erster Linie untereinander zu vernetzen und Angebote zu schaffen. Zusätzlich kommen die betroffenen Menschen auch wegen der gesetzlichen Leistungen wie dem Rehasport und Funktionstraining zu uns. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Angeboten in Präsenz oder auch Online-Seminare rund um die Themen individuelle Beratung, Therapieform, Bewegung und Ernährung. Dazu bieten wir auch zielgruppenspezifische Angebote für beispielsweise Frauen oder kürzlich diagnostizierte Menschen an.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit mit ein?

In der Selbsthilfe sind die Betroffenen die Expert*innen für ihre eigene Erkrankung. Die DVMB ist ein Verein von Betroffenen für Betroffene, auf allen Ebenen. Im Bundesverband, im Landesverband und in den 350 örtlichen Gruppen sind es Betroffene, die die Arbeit leisten. Unterstützt werden sie durch eine Geschäftsstelle, die Hauptarbeit wird jedoch über das Ehrenamt organisiert. Der Kern der DVMB sind die örtlichen Gruppen, bei denen sich die Betroffenen in Präsenztreffen meist mit sportlicher Betätigung gegenseitig austauschen und stärken. Der Bundesverband bietet überregionale Angebote an. Beispielsweise Online-Seminare zu Themen wie Ernährung und Bewegung oder initiiert Aktionstage, um auf die Erkrankung Morbus Bechterew aufmerksam zu machen. Zudem sind wir Kooperationspartner von Forschungseinrichtungen wie Unikliniken, so dass Betroffene bei wissenschaftlichen Studien mit einbezogen werden.

Welche Herausforderungen haben gemeinnützige Einrichtungen wie Ihre aktuell?

Unsere Arbeit ist größtenteils ehrenamtlich organisiert. Ideelle Ziele und nicht die Gewinnmaximierung stehen im Vordergrund. In einem marktwirtschaftlichen System bedeutet das, dass wir auf besondere Unterstützung angewiesen sind. Wir benötigen finanzielle Mittel, sei es durch Fördermittel oder Spenden, um unsere Angebote aufrechterhalten zu können. Hier ist die Zeit, die uns ehrenamtliche Helferinnen und Helfer spenden, eine äußerst wertvolle Ressource.

Die Bedingungen für ehrenamtliches Engagement haben sich in den letzten Jahren drastisch verändert, vor allem durch äußere Rahmenbedingungen wie den demografischen Wandel und die Digitalisierung. Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist für uns als Organisation nach wie vor schwierig. Durch die COVID-19-Pandemie und die Energiekrise stieg die doppelte Belastung. Ein Beispiel: Menschen mit Morbus Bechterew sind stark auf Bewegung angewiesen, insbesondere auf Wassergymnastik. Durch die Pandemie waren viele Schwimmbäder über einen längeren Zeitraum geschlossen, und jetzt sind höhere Kosten ein Hindernis für die Wiederaufnahme dieser Aktivitäten. Das bedeutet, es fehlen Bewegungsangebote. Hinzu kommen steigende Preise, die zu sinkenden Mitgliedszahlen aufgrund von Sparbedürfnissen bei Betroffenen führen, sodass der eh schon zu verzeichnende Rückgang der Mitgliederzahlen aufgrund der stetigen Überalterung noch schwerer aufzuhalten ist.

Die Digitalisierung bietet sicherlich Chancen, erfordert jedoch erhebliche finanzielle Ressourcen. Leider wurden Selbsthilfeorganisationen in dieser Hinsicht oft nicht ausreichend berücksichtigt. So gab es beispielsweise bis heute kein Hilfspaket für die Selbsthilfe. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass Online-Angebote großes Potenzial haben. Die Online-Bewegungstherapie wurde in der Coronazeit von den Krankenkassen gefördert. Außerdem haben wir digitale Stammtische mit Ärzt*innen begonnen. Zum einen entstehen durch die digitalen Angebote Chancen, junge Menschen zu gewinnen. Gleichzeitig braucht es Angebote, die die ältere Generation nicht abhängen, sondern an die neuen Formate heranführen. Um eine ganze Organisation so digital aufzustellen, braucht es mehr als Projektförderungen. Als Teil des Gesundheitswesens sind Selbsthilfeorganisationen stark von Kosteneinsparungen betroffen, was zu erheblichem Druck auf unsere Arbeit führt.

Insgesamt sind wir jedoch sehr stolz, dass es uns noch gibt, und wir schätzen die vielen aktiven Mitglieder, die zuversichtlich in die Zukunft blicken und neue Wege gemeinsam mit uns gehen. Jedes neue Mitglied, das sich aktiv einbringt, ist für uns eine große Bereicherung.

© Ralf Bauer

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Einrichtungen beitragen?

Erstens benötigen wir direkte politische Unterstützung, indem finanzielle Hilfen direkt an die Dachorganisationen fließen. Auf politischer Ebene muss die Arbeit der Selbsthilfe mehr Anerkennung finden.

Zweitens sollte sich die Vergabe von Fördermitteln umdrehen. Aktuell orientieren sich gemeinnützige Organisationen bei der Antragstellung an den Schwerpunkten der Fördermittelgeber. Ich denke, es sollte genau andersherum sein: Die Fördermittelgeber sollten sich nach den Bedarfen der Organisationen richten.

Drittens ist eine verstärkte Anerkennung des Potenzials der Selbsthilfe erforderlich. Krankheiten wie Morbus Bechterew sind unheilbar und ihre Ursachen oft unbekannt. Es mangelt an Rheumatolog*innen und Physiotherapeut*innen, und die Zeit, die Erkrankte im Durchschnitt bei der Behandlung haben, ist begrenzt. Der Austausch zwischen Betroffenen ist daher von großer Bedeutung, um Erfahrungen und Informationen zu teilen. Selbsthilfeorganisationen unterstützen Menschen bei der Bewältigung ihrer Krankheit und bieten eine Plattform für den Austausch. Ich glaube auch, dass Patientenorganisationen dazu beitragen, Einsamkeit zu bekämpfen und den Menschen wieder Zuversicht und positive Anregungen zu geben. Selbsthilfe ist ein integraler Bestandteil des Gesundheitssystems, was vielen nicht bewusst ist. Wir als Selbsthilfeorganisationen fungieren als Bindeglied zwischen den Patient*innen und der medizinischen Behandlung.

Warum braucht es ihrer Meinung einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Die DVMB zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich Zeit nimmt, einen Raum für den Austausch schafft und Betroffene berät. Wir sind unabhängig und verfolgen keine unternehmerischen Interessen, wie es beispielsweise bei Pharmafirmen der Fall ist. Dieses Angebot, sich unabhängig beraten zu lassen und Unterstützung auf dem Weg mit der Krankheit zu finden, ist etwas, das nur gemeinnützige Organisationen wie die DVMB bieten können. Wir bieten Unterstützung, unabhängig von den Ressourcen und finanziellen Mitteln der erkrankten Menschen.

Außerdem benötigen wir im Gesundheitsbereich eine stärkere Stimme. Als Patient*in ist man zwar in gewissem Maße in die Entscheidungsprozesse involviert, aber dies beschränkt sich oft auf die Teilnahme an Gremien wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) oder an Studien. Dabei brauchen diese Gremien die Expertise und die Ressourcen, um die Patient*innen angemessen zu vertreten und Gesetze zu verstehen. Es gibt also einen klaren Bedarf an Ressourcen, um sicherzustellen, dass die Stimme der Patient*innen gehört wird und dass ihre Interessen in den Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden.


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V. als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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