Die Kette e.V. setzt sich nicht nur für die Pflichtversorgung ein, sondern initiiert auch vielfältige freiwillige Projekte für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Mit über 400 Mitarbeitenden bietet der Verein breit gefächerte Dienstleistungen an, die von sozialpädagogischer Familienhilfe bis zur beruflichen Rehabilitation reichen. In einem Interview erläutert die damalige Vorständin Claudia Seyholdt die Bedeutung gemeinnütziger Strukturen für die differenzierte Herangehensweise bei der Unterstützung psychisch Erkrankten.

Claudia Seyholdt ist die ehemalige Vorständin bei Die Kette e.V.

Vor 40 Jahren wurde der Verein von engagierten Bürger*innen, darunter Politiker*innen, Soziolog*innen und Fachärzt*innen, im Rheinischen Bergischen Kreis gegründet, um die damalige Unterversorgung von etwa 84 Menschen mit psychischen Erkrankungen zu adressieren. Ursprünglich gab es keine Fachabteilung für Psychiatrie in der Region, nur ein Angebot in Langenfeld von einer Ehrenamtsgruppe und einem Kaffeeangebot.

Die Dienstleistungen der Kette e.V. umfassen mittlerweile sozialpädagogische Familienhilfe für Familien mit psychisch erkrankten Mitgliedern, Angebote für Erwachsene, darunter verschiedene Wohnformen, berufliche Rehabilitation, Begleitung, Tagesstruktur und Pflege. Betreut werden auch Wohngemeinschaften für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Pflegebedarf. In den Inklusionsbetrieben, darunter eine größere Catering-Einrichtung und eine kleine Firma für Handwerksarbeiten, beschäftigt der Verein etwa 200 Mitarbeitende. Das Engagement erstreckt sich von der Versorgung von Unternehmenskantinen bis zu hochwertigen Handwerksarbeiten für Privatkunden und gemeinnützige Vereine. Was besonders ist: Etwa 50 Prozent der Mitarbeitenden haben hier selbst Einschränkungen.

Psychische Erkrankungen können Menschen ein Leben lang beeinflussen, beginnend im Jugendalter oder später im Leben. Die Unterstützungen des Vereins variiert je nach Art und Schwere der Erkrankung, sei es eine chronische Psychose, berufsbedingte Krisen, Ängste oder Depressionen. Unser Ziel ist es, ein teilhabeorientiertes Leben zu ermöglichen, unabhängig von der Dauer der Unterstützung.

Wie zeigt sich die Gemeinnützigkeit von die Kette e.V.?

Finanzielle Überschüsse fließen vollständig in soziale Projekte, , um öffentliche Gelder wieder der ursprünglichen Bestimmung zuzuführen: der Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen.

Ein zentrales Wertesystem des Vereins ist seine Herkunft aus der Psychiatrie, die zur Auflösung von Großkliniken führte. Die Gemeinnützigkeit erstreckt sich über Wohnstätten, die Menschen mit langer Psychiatriegeschichte ein richtiges Zuhause bieten. Der Fokus liegt darauf, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, Teilhabe zu ermöglichen und nicht darauf, dass sie ausschließlich in Einrichtungen bleiben. Die Gemeinnützigkeit bedeutet, individuelle Bedürfnisse zu erkennen und Menschen in die Kommune zu integrieren.

Die Vernetzung mit anderen gemeinnützigen Trägern, insbesondere durch die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie im Rheinland, zeigt das Bestreben, gemeinsam etwas aufzubauen und die Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu vertreten. Diese Grundhaltung fördert auch eine gesellschaftspolitische Ausrichtung über den eigenen Träger oder die eigene Firma hinaus.

Wie beziehen Sie Betroffene in ihre Arbeit ein?

Wir haben einen Klientenrat, in dem die Bewohner*innen unserer gemeinschaftlichen Wohnheime organisiert sind. Früher nannten wir die Wohnheime nach dem Bundesteilhabegesetz. Hat sich der Begriff geändert und auch einige Inhalte? Ja, der Begriff hat sich geändert. Die Nutzer*innen wählen Vertreter*innen aus jeder Einrichtung mit sieben oder zwölf Bewohnern. Eine größere Einrichtung mag finanziell erfolgreicher sein, aber die kleineren, überschaubaren Häuser sind näher am Leben, mitten in der Stadt oder in Dörfern.

Der Klientenrat, bestehend aus sechs Vertreter*innen, trifft sich regelmäßig mit Wohnheimleitungen oder dem Vorstand, informiert sich über Neuigkeiten im Verein und führt Umfragen zur Zufriedenheit und Wünschen durch. Es gibt auch einen Beirat mit Nutzervertretern in unserer Kontakt- und Beratungsstelle, die ambulante Angebote bereithält. Die Nutzervertreter werden gewählt und sind in Qualitätsbewertungen des sozialpsychiatrischen Zentrums involviert.

Wir beschäftigen auch Menschen mit Psychiatrieerfahrung, die versicherungspflichtig bei uns angestellt sind. Derzeit sind es vier, die andere Menschen mit psychischen Erkrankungen beraten und ermutigen. Wir legen Wert darauf, dass sie Tarifgehalt erhalten. Neben Selbstverwaltung gibt es auch Projekte, bei dem Menschen mit psychischen Erkrankungen eigene Angebote machen, wie Fotografie oder Skatrunden.

Wir planen ein Projekt zur Bewusstseinsbildung, bei dem Öffentlichkeits- und Projektarbeit aus konsequenter Betroffenenperspektive umgesetzt werden. Diese Projekte fördern die Integration und Teilhabe von Menschen mit psychischen Erkrankungen in die Gemeinschaft.

Warum stehen gemeinnützige Organisationen unter Druck?

Früher war es so, dass Sie eine Idee hatten, die nicht am grünen Tisch entstanden ist, sondern echten Bedarf hatte. Sie gingen zum Kostenträger, erklärten die Notwendigkeit, und es gab in der Regel politische Entscheidungen. Dann gab es eine Spitzfinanzierung zur Abdeckung aller Personal- und Sachkosten.

Jetzt sehen wir ein Umdenken. Alle Kostenträger haben sich bis auf einen von der Refinanzierung des Personals verabschiedet. Es läuft nun über Fachleistungsstunden und teilweise über Pflegesätze. Das führt dazu, dass wir jede Stunde nachweisen müssen. Früher hatten die Leute etwas mehr Spielraum, um Dinge auszuprobieren oder spezifische Aktivitäten mit den Nutzer*innen zu gestalten. Das funktioniert nicht mehr so, da wir jetzt personenzentriert arbeiten und bestimmte Vorgaben erfüllen müssen.

Durch die Verbreiterung der Dienstleistungen haben wir weniger Spielräume. Wir hören Rückmeldungen, dass wir mehr Geld für die Rekrutierung von Fachkräften ausgeben müssen. Wir sind personalintensiv und bieten kleine Angebote für spezifische Gruppen an, die sonst übersehen würden. Als gemeinnütziger Träger richten wir uns nach dem Bedarf, während nicht gemeinnützige Organisationen oft anders aufgestellt sind.

Es gibt keine Risikozuschläge, wie in der freien Wirtschaft. Wir gehen Risiken ein und erhalten keinen Zuschlag. Wir müssen manchmal sogar Geld und Eigenmittel beisteuern, was immer schwieriger wird. Entwicklungs- und Konzeptionskosten sowie Personaldienstleister sind zunehmend Herausforderungen. Menschen, die bei uns arbeiten, haben oft ein soziales Engagement, arbeiten aber nicht nur aus finanziellen Gründen.

Es gibt eine Vielzahl von Herausforderungen, von steigenden Krankheitstagen bis hin zu höherem Druck auf die Mitarbeitenden. Die Qualität der Arbeit und die Arbeitszufriedenheit sind uns wichtig, daher investieren wir in Supervision, Fortbildungen und Teamarbeit, was zusätzliche Kosten verursacht. Diese Herausforderungen betreffen nicht nur gemeinnützige Organisationen, sondern alle, wenn auch möglicherweise in unterschiedlicher Form.

Was kann zu einer Stärkung gemeinnütziger Organisationen beitragen?

Es ist wichtig zu verstehen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen unterschiedlich leistungsfähig sind, und ihre Leistungsfähigkeit kann schwanken. Einige können nach einer Krise ihre volle Leistungsfähigkeit wiedererlangen, während andere aufgrund von wiederholten Krisen Schwierigkeiten haben. Daher ist eine differenzierte Herangehensweise erforderlich.

Leider habe ich den Eindruck, dass viele Kostenträger zunehmend skeptisch sind und gemeinnützige Organisationen unter Generalverdacht stellen. Diese Haltung erschwert die Zusammenarbeit und setzt gemeinnützige Organisationen unnötig unter Druck.

Es ist notwendig, dass Kostenträger und Verwaltungen ein positives Signal aussenden und die Bedeutung gemeinnütziger Dienste für die Gesellschaft anerkennen. Es braucht mehr Offenheit für neue Ideen und einen konstruktiven Austausch zwischen allen Beteiligten. Auch die Gemeinnützigen sollten sich stärker in die Gesellschaft einbringen und für ihre Arbeit werben. Eine differenzierte Betrachtung und eine kooperative Zusammenarbeit sind entscheidend, um die Herausforderungen im sozialen Bereich zu bewältigen.

Abschließend wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit und Mut, sowohl von den Kostenträgern als auch von den Gemeinnützigen, um gemeinsam positive Veränderungen und innovative Projekte zu fördern.

Wieso braucht es einen Vorrang gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen?

Zum einen finde ich, dass gemeinnützige Träger einen äußerst wichtigen Platz in unserer Gesellschaft einnehmen. Ihr Fokus liegt nicht auf Gewinnmaximierung, sondern darauf, Projekte umzusetzen, soziale Arbeit zu leisten und ihre Mittel wieder in diese Vorhaben zu investieren.

Es erscheint mir notwendig, diesen Trägern Vorrang zu geben, da sie in der Regel mit einem festen Wertesystem verbunden sind. Dies ist meiner Ansicht nach entscheidend für unsere Gesellschaft, die dazu neigt, sich zu vereinzeln. Es zeigt sich, dass es den Menschen nicht guttut, wenn sie zu stark isoliert sind. Gemeinnützige Träger können, wenn sie gut sind und ein Interesse an Weiterentwicklung haben, als Motoren für die Gemeindepsychiatrie fungieren.

Unser Ursprung liegt darin, Menschen mit Behinderungen vor Ausgrenzung zu bewahren, sie zu integrieren und ihnen Teilhabe zu ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um die eigenen Geschäftsfelder, sondern auch um die Zusammenarbeit mit anderen Trägern, sowohl professionellen als auch nicht professionellen. Ich glaube, dass Gemeinnützigkeit die Gesellschaft mitprägt, indem gemeinnützige Träger sich oft nicht nur auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren, sondern sich auch in sozialpolitische Gremien einbringen oder ehrenamtlich engagieren. Sowohl die Mitarbeitenden als auch die Nutzer*innen dieser Träger werden auf eine Weise einbezogen, dass sie diese Werte teilen und mittragen.


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief des Vereins Die Kette e.V. als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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