Digitale Teilhabe ist keine Selbstverständlichkeit, vielmehr ist digitale Teilhabe insbesondere für Armutsbetroffene mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Digitalisierungsdebatte beim Digi-Dienstag am 19. April '23 zum Thema Armut und Digitalisierung

In der Digitalisierungsdebatte vom April 2023 widmeten wir uns der Frage, wie Armut und Digitalisierung zusammenhängen. Greta Schabram und Dr. Andreas Aust haben das Thema aus der Perspektive der Forschung und Sozialpolitik beleuchtet. Till Roschinsky und Elena Tallari, Mitarbeitende bei der Beratungsstelle Arbeit Perspektive Bielefeld, haben aus der Praxis ihrer Sozialberatungsstelle berichtet. Die ausgewerteten Daten der Paritätischen Forschungsstelle zeigen, dass Armutsbetroffene von digitaler Ausgrenzung in besonderem Maße bedroht sind, weil ihnen der Zugang in sächlicher Hinsicht fehlt, aber auch aufgrund geringerer Chancen, digitale Fertigkeiten über den Beruf zu erlernen. Die Berater*innen sahen ihre in der Praxis wahrgenommenen Probleme in den empirischen Ergebnissen sehr gut widergespiegelt. Sie wiesen auf eine Vielzahl von praktischen Problemen von Armutsbetroffenen im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung hin (die vollständige Debatte findet sich im Protokoll zur Veranstaltung).

Zunehmende Digitalisierung führt zu einem gestiegenen Unterstützungsbedarf

Immer mehr Menschen brauchen den Berater*innen zufolge Unterstützung bei der Nutzung digitaler Mittel, weil in vielen Lebensbereichen, wie die Bewerbung für einen Aushilfsjob, die Anmeldung eines Kindes in der Kita, der Zugang zu Wohnungsanzeigen und vieles mehr digitale Wege notwendig sind. Kund*innen der Beratungsstellen verfügen aber nicht über die entsprechende Technik (Internet und funktionierender Computer/ Laptop), viele hätten nicht einmal Email-Adressen oder würden ihre Email-Adresse nicht kennen. Aufgrund fehlenden Know-hows, Sprachproblemen oder Einschränkungen wie Analphabetismus haben sie massive Probleme digitale Masken auszufüllen oder sich um zentrale Lebensbereiche, wie die eigene Wohnungssuche oder die Bewerbung auf eine Stelle, selbstständig kümmern zu können. Dadurch, dass Mitarbeitende gemeinsam mit Kund*innen digitale Arbeiten erledigen müssen, entsteht ein großer, letztlich nicht zu bewerkstelligender Bedarf nach Unterstützung, dem die Beratungsstelle nicht adäquat nachkommen kann. Menschen, denen lediglich ein ausreichendes Datenvolumen fehlt, können zwar den Netzzugang der Beratungsstelle nutzen, doch den meisten Menschen hilft weder ein zur Verfügung gestellter Internetzugang über die Beratungsstelle noch ein zu benutzender Laptop, da sie mit der digitalen Arbeit als solcher nicht zurechtkommen und diese übernommen werden muss. Weitere Zugangsprobleme bestehen in der oftmals fehlenden Mehrsprachigkeit digitaler Formulare oder dass diese nicht in einfacher Sprache verfügbar sind. Staatliche Leistungen gelangen so noch schwieriger und in geringerem Ausmaß an Menschen ohne digitale Existenz, was zu steigender Nicht-Inanspruchnahme führt. Bei der Anwendung digitaler Masken kommen weitere Probleme wie fehlende Möglichkeiten zum Zwischenspeichern hinzu. So muss oftmals das gemeinsame Ausfüllen von Anträgen mit Kund*innen unterbrochen und auf weitere Termine verschoben werden, weil mitten im Prozess eine Frage nicht beantwortet werden kann. Wenn dann die Möglichkeit zum Zwischenspeichern fehlt, führt dies zu viel Frust.

Dem großen Andrang an Kund*innen mit Unterstützungsbedarf bei digitalen Tätigkeiten kann die Beratungsstelle kaum nachkommen.

Digitale Eingabemasken machen komplexe Lebenswelten unsichtbar – es muss auch analoges Leben möglich sein

Der digitale Antrag macht nach Ausführungen der Berater*innen die Menschen hinter den Anträgen unsichtbar, da weder im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, noch über ein angehängtes Anschreiben komplexe Sachverhalte zu einem Fall beschrieben und erklärt werden können. Das Leben vieler Kund*innen passt hingegen nicht zu den engen Vorgaben der Eingabemasken. Die Folge sind sich in die Länge ziehende Verfahren, weil Anträge zunächst abgelehnt werden und dann über den Widerspruch weitere Nachweise erbracht würden. Demgegenüber ist ein analoger Antrag für Kund*innen der Beratungsstelle in vielerlei Hinsicht mit Vorteilen behaftet. Menschen können Dinge offenlassen oder später beantworten, sie können bei der Abgabe Sachverhalte zusätzlich erklären oder Nachfragen stellen und können vor allem viel mehr selbstständig und/ oder von Zuhause aus erledigen. Der Rückbau analoger Möglichkeiten führt so letztlich zu massiven Problemen. Analoge Wege würden verkompliziert und erschwert, indem im Vergleich zur digitalen Abgabe keine Nachweise zur Einreichung erbracht werden, die Bearbeitung analoger Anträge oftmals mit Verzögerungen bei der Bearbeitung verbunden sind und staatliche Stellen zur digitalen Abgabe drängen. Damit Menschen mit so großem Unterstützungsbedarf nicht völlig abgehängt und ausgegrenzt würden, braucht es ein Recht auf ein analoges Leben.

Digitale Ausgrenzung - Lösungsvorschläge

Chancen und Risiken der Digitalisierung sind in der Bevölkerung ungleich verteilt und derzeit zeigt sich Dr. Andreas Aust zufolge vor allem ein sogenannter Mittelstands-Bias. Gerade der gut gebildete Mittelstand zieht viele Vorteile aus der Digitalisierung, denn für sie erleichtert Digitalisierung viele Wege. Für Menschen mit starken Zugangsprobleme hingegen tritt Digitalisierung vor allem als Risiko von (noch) mehr Ausgrenzung in Erscheinung.

Zwei Forderungen standen im Fokus der Diskussion über mögliche Gegenmittel zur digitalen Ausgrenzung. Zum einen braucht es das Recht auf ein analoges Leben, indem der Staat auch analoge Zugänge sicherstellen muss. Zum anderen müsse der Staat dafür sorgen, dass digitale Zugänge für alle möglich seien, nicht nur über eine ausreichende Berücksichtigung entsprechender Ausgaben in den Regelsätzen (Digitale Teilhabe als Aspekt des Existenzminimums), sondern auch durch Equipment und Beratung beispielsweise bei Bürgerämtern und Jobcentern. Sofern soziale Einrichtungen diese staatlichen Leistungen übernehmen sollen, müssen sie dafür zusätzlich und umfassend ausgestattet werden. Dafür braucht es möglichst langfristig mehr Raum, mehr Personal sowie Schulung des Personals, um dem Bedarf nach digitaler Teilhabe nachkommen zu können.


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Autor*in

Portrait von Greta Schabram

Greta Schabram

Greta Schabram ist Referentin für Wohnen sowie Sozialforschung und Statistik beim Paritätischen Gesamtverband.

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