Die Fauna e.V. betreut ältere Menschen in Aachen. Wenn die Vorsitzende Irene Krebs und die neue Geschäftsführerin Daniela Hunhoff-Peulers über ihre Arbeit sprechen, wird beinahe in jedem Satz die starke Werteorientierung des gemeinnützigen Pflegedienstes deutlich. Fauna e.V. hebt sich von herkömmlichen Pflegediensten ab, indem er Menschen nicht nur versorgt, sondern ihnen auch in Krankheit und Einschränkung ermöglicht, ihren letzten Lebensabschnitt in Würde und Gemeinschaft zu verbringen. Doch welche Maßnahmen ergreift der Verein, um dem zunehmenden Zeitdruck, wegbrechender Finanzierung und dem schlechten Image der Altenpflege entgegenzuwirken?

Irene Krebs (links) und die Pflegedienstleitung Frau Yvonne Retz

Der Verein “Fauna - Freie Alten- und Nachbarschaftshilfe Aachen e.V.”  widmet sich mit großem Engagement der Betreuung von Menschen, die von Demenz betroffen sind. Die Organisation deckt verschiedene Dienstleistungsbereiche ab, darunter einen klassischen ambulanten Pflegedienst, eine Tagespflege und einen Entlastungsdienst. Besonders hervorzuheben sind die beiden Demenz-Wohngemeinschaften. Hier leben jeweils acht psychisch veränderte und /oder demente, pflegebedürftige alte Menschen in familiärer Atmosphäre. Seit 2017 ergänzen inklusive Nachbarschaftsprojekte das Angebot der Fauna. Der Verein setzt sich für eine ganzheitliche und qualitätsorientierte Versorgung ein und engagiert sich dafür, dass Menschen, unabhängig von ihrer finanziellen Situation, eine gute Betreuung erfahren. Im folgenden Interview erfahren wir mehr über die Arbeit der Fauna e.V. und welche Herausforderungen und Chancen sich in der Pflege von Menschen mit Demenz ergeben.

Wie zeigt sich die Gemeinnützigkeit von Fauna e.V.?

Bei Fauna e.V. verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, den Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen zu helfen. Unser Engagement spiegelt sich auch in unserem Werdegang wider. Alles begann mit einem klassischen ambulanten Pflegedienst, bei dem wir uns die Frage stellten, wie wir Menschen dabei unterstützen können, auch bei zunehmendem Pflegebedarf möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit leben zu können. Dabei waren wir Vorreiter in NRW, indem wir eine Tagespflege in Kombination mit dem ambulanten Dienst eröffneten. Als die Nachfrage nach Pflegeleistungen weiter stieg, entwickelten wir den Entlastungsdienst, um auch Angehörige zu entlasten. Als auch die Tagespflege nicht mehr ausreichte, entschieden wir uns dazu, zwei Demenz-Wohngemeinschaften zu etablieren. Zusätzlich entwickelten wir Quartiersprojekte, die klassische Nachbarschaftshilfe bieten und darauf abzielen, Menschen frühzeitig zu unterstützen und Vereinsamung entgegenzuwirken.

In unseren Demenz-Wohngemeinschaften legen wir besonderen Wert darauf, den Bewohnern ein Mitspracherecht zu geben und ihnen die Möglichkeit zu bieten, so lange wie möglich selbstständig zu bleiben. Unser Pflegekonzept unterscheidet sich dadurch deutlich von klassischen Pflegeheimen. In den Wohngemeinschaften leben je acht Mieter über viele Jahre in Gemeinschaft. Durch diese überschaubare Größe können wir individuelle Pflegeleistungen anbieten, da wir viel Zeit auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen verwenden. Dadurch fühlen sich die Bewohner freier und selbstbestimmter als in einem traditionellen Pflegeheim.

Unser ganzheitliches Angebot führt dazu, dass wir gezielt aufgesucht werden und unsere Wartelisten mittlerweile sehr lang sind. Wir erfahren viel positives Feedback und spüren eine große Dankbarkeit seitens der Angehörigen.

Darüber hinaus nehmen wir auch Klient*innen auf, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Das bedeutet, wir betreuen teilweise wohnungslose Menschen in Notunterkünften. Unsere Aufnahme Entscheidungen basieren nicht nur auf wirtschaftlichen Überlegungen, sondern wir setzen uns das Ziel, wirklich allen Menschen zu helfen, unabhängig von ihrer sozialen Situation. Eine gute Beratung der Betroffenen steht dabei im Vordergrund.

Das Streben nach Gemeinnützigkeit ist für uns eine Herzensangelegenheit, und wir sind bestrebt, weiterhin umfassende Unterstützung für Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen anzubieten.

Wie beziehen Sie Betroffene in Ihre Arbeit ein?

In der Pflege gestaltet sich das Einbinden der Betroffenen naturgemäß schwierig, da sie sich nicht selbst pflegen können. Daher liegt der Fokus eher auf der Einbindung der Angehörigen. In unseren Wohngemeinschaften ermutigen wir die Angehörigen, sich aktiv einzubringen. Wenngleich dies nicht von allen geschieht, gibt es dennoch einige, die regelmäßig vor Ort sind. Ein beispielhaftes Engagement zeigt sich etwa darin, dass der Enkel einer verstorbenen Betreuten nun ehrenamtlich bei uns tätig ist.

Ein wichtiger Ansatz ist auch unser Angehörigenkurs, in dem wir eng mit den pflegenden Angehörigen zusammenarbeiten und sie zur Selbsthilfe ermutigen. Der Kurs, geleitet von einer Mitarbeiterin aus unserem Team, erstreckt sich über acht Unterrichtseinheiten und fokussiert sich besonders auf Achtsamkeit und Selbsthilfe, insbesondere im Umgang mit Demenz.

Betroffene Personen werden in unser Quartiersprojekt eingebunden, das sich an Menschen mit oder ohne Behinderung richtet, die sich für Inklusion in der Nachbarschaft engagieren möchten. Ziel ist es, jedem die Möglichkeit zu geben, sich in der Nachbarschaft einzubringen. Zudem erfahren wir im Entlastungsdienst viel ehrenamtliches Engagement.

Fauna e.V. in Aachen

Welche Herausforderungen haben gemeinnützige Dienste wie Ihre?

Eine der Haupt-Herausforderungen, mit der wir verstärkt seit der Corona-Zeit zu kämpfen haben, ist die übermäßige Regulierung und Verwaltung. Die zahlreichen Vorgaben und Auflagen, die im Zuge der Pandemie erlassen wurden, waren für unser Konzept der zwei Wohngemeinschaften schwer umsetzbar. Unsere Arbeitsweise unterscheidet sich deutlich von klassischen Wohnheimen, weshalb viele der Standardvorgaben nicht auf uns anwendbar waren. Die Bewältigung dieser Umstellung hat in den letzten Jahren viel Kraft gekostet.

Ein weiteres Problem betrifft die Tariftreue. Früher konnten wir unseren Mitarbeitenden bessere Arbeitsbedingungen bieten, indem wir zwar unter Tarif zahlten, ihnen aber dafür mehr Zeit für den internen Austausch bzw. beim Klienten eingeräumt haben. Allerdings hat sich dies geändert, da wir nun die gleichen Löhne wie jeder andere Pflegedienst zahlen müssen. Dadurch sind wir gezwungen, die Arbeitsabläufe stärker zu regulieren und die Pflege-Touren zeitlich genau zu takten. Diese Veränderung wirkt sich auch auf die Betreuung unserer Klient*innen aus, die nun den zeitlichen Druck wahrnehmen und sich fragen, warum der Pflegedienst nicht mehr so viel Zeit für sie hat. Leider sind unsere Hände in diesem Bereich gebunden. Hier benötigen wir dringend mehr Unterstützung, sei es von der Stadt oder vom Land.

Ein weiteres Anliegen ist es, einen Kompromiss zu finden, wenn es um die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen geht. Neu eingestellte Mitarbeiter*innen müssen zuweilen erst lernen, ohne den bisher gewohnten zeitlichen Druck zu arbeiten, während langjährige Mitarbeiter*innen lernen müssen, (wirtschaftlich) effizienter zu arbeiten.

Wir sind uns bewusst, dass es an vielen Fronten Verbesserungsbedarf gibt, und hoffen auf die Unterstützung und Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren, um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Einrichtungen beitragen?

Eine wesentliche Maßnahme wäre, die aktuelle Regulierungsdichte zu reduzieren. Gerade im Hinblick auf die Tarifpflicht ist dies ein besonders einschneidender Eingriff in die Autonomie gemeinnütziger Organisationen. Eine größere Wertschätzung des Pflegeberufs besteht nicht nur darin, den Pflegefachkräften mehr Gehalt zu zahlen, sondern vor allem darin, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen! Dies ist jedoch schwierig, wenn wir ständig an bestimmte Vorgaben und Vorlagen gebunden sind.

Des Weiteren sollten zugängliche Fördermöglichkeiten für gemeinnützige Organisationen geschaffen werden. Es braucht Offenheit dafür, dass Qualität auch einen angemessenen finanziellen Aufwand erfordert. Leider wurden unsere Konzepte in der Vergangenheit von Mitarbeiterinnen der Städteregion Aachen als Luxuspflege angesehen: in den Demenzwohngemeinschaften kümmert sich eine Pflegefachkraft bei uns nur um acht Klient*innen im Vergleich zu den ca. 20 im Heim. Es ist wichtig, dass die Verwaltung ein Verständnis dafür entwickelt, dass auch Nischenprodukte wie unseres eine Daseinsberechtigung haben.

Zusätzlich benötigt die Pflege mehr positive Präsenz in der Öffentlichkeit, damit den Menschen bewusst wird, dass Pflege auch schön sein kann. Es ist entscheidend, zu betonen, dass unsere Pflegekräfte nach 30-40 Jahren in ihrem Beruf nicht physisch und körperlich erschöpft sind, wie es bei anderen nach nur 5 bis 10 Jahren der Fall ist. Achtsamkeit und Selbstfürsorge sind für uns wichtige Aspekte, die leider in der heutigen Pflege oft vernachlässigt werden.

 

Warum braucht es Ihrer Meinung nach einen Vorrang von gemeinnützigen Diensten?

Aus unserer Perspektive steht der Mensch im Vordergrund, während bei anderen Diensten und Einrichtungen eher der Fokus auf dem Profit liegt. Unser Hauptziel ist es, die Menschen gut zu versorgen und ihnen eine hochwertige Betreuung zu bieten. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand finanziell gut gestellt ist oder nicht. Es geht uns darum, auch denjenigen, die nicht über viel Geld verfügen, eine angemessene Versorgung zu gewährleisten. Gemeinnützige Dienste tragen dazu bei, sozialer Armut und Vereinsamung entgegenzuwirken. Wir sind fest davon überzeugt, dass dies nur durch eine gemeinnützige Ausrichtung erreicht werden kann.

“Pflege kann auch schön sein, man muss sie nur lassen.”

„Leider hört man in den letzten 2-3 Jahren immer wieder, dass alles schlecht sei, die Bezahlung unzureichend und der Beruf nicht attraktiv. Diese Entwicklungen haben das, was mich vor 25 Jahren dazu bewegt hat, diesen Beruf zu ergreifen, fast zunichtegemacht. Die Wertschätzung für die Altenpflege und die älteren Menschen im Allgemeinen ist stark gesunken. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dies zu ändern und die Pflege wieder aufzuwerten. Die Betreuung von älteren Menschen geht weit über die bloße Versorgung von Kranken hinaus – es geht darum, ihnen einen würdigen Lebensabend zu gestalten. Dieser Aspekt sollte wieder mehr in den Fokus gerückt und ein positives Bild in den Medien gezeichnet werden. Es ist an der Zeit, die Schönheit und Bedeutung der Pflegeberufe wieder ins Rampenlicht zu rücken!“, so das leidenschaftliche Plädoyer von Frau Hunhoff-Peulers.

 

Das Interview führte Lilly Oesterreich


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit, vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief Fauna - Freie Alten- und Nachbarschaftshilfe Aachen e.V. als PDF herunterladen.

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Autor*in

Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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