Der Paritätische Baden-Württemberg beleuchtet die Aspekte Gesellschaft und Recht mit Blick auf die Gemeinnützigkeit und bildet vielfältige Stimmen zum „Wert der Gemeinnützigkeit“ von Mitgliedsorganisationen, kommunalen Spitzenverbänden, Wissenschaft und Ehrenamt ab. Es sind Stimmen, die sich dafür aussprechen, dass die Wohlfahrtspflege, die gemeinwohlorientierte Arbeit in Politik und Gesellschaft stärker wahrgenommen werden müssen.

Die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland ist eine Säule des Sozialstaates und trägt damit wesentlich zum sozialen Zusammenhalt und sozialen Frieden bei. Große gesellschaftliche Umbrüche wie Pandemien, kriegs-, gewalt- oder armutsbedingte Zuwanderung, wachsende soziale Ungleichheit, Armut, Personalmangel fordern und belasten die Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege zusätzlich. Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege, deren unverwechselbare Merkmale der Einsatz und auch das ehrenamtliche Engagement für Menschen sind, gewinnen in diesen Krisenzeiten eine noch stärkere Bedeutung für das Gemeinwesen. Zudem setzen Digitalisierung, New Work, Wettbewerb mit nicht gemeinnützigen Akteuren (Sozialkonzerne genauso wie Social Entrepreneurships, Startups), Rekommunalisierung und die sich ständig ändernden (gesetzlichen) Vorgaben permanente Veränderungsbereitschaft und Innovationskraft voraus.

Mit steigender Nachfrage nach sozialen Diensten bei gleichzeitig knapper werdenden Finanzmittel das Staates und der Sozialversicherungen sowie Kürzungen von kommunalen freiwilligen Leistungen und zunehmendem Wettbewerb und Konkurrenz zu öffentlichen oder sogar gewerblichen Anbietern erhöht den Druck auf die Wohlfahrtspflege. Gleichzeitig gewinnt die freigemeinnützige Wohlfahrtspflege zunehmend an Bedeutung wie der Applaus für die Pflege in der Pandemie gezeigt hat.

Gütesiegel Gemeinnützigkeit

Bereits der Status der Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen gesetzlichen Anforderungen an die Organisationen sind ein Gütesiegel. Gemeinnützige Organisationen werden häufig von oder mit Betroffenen gegründet. Partizipation und Teilhabe sind meist schon im Satzungszweck verankert und werden in der alltäglichen Arbeit umgesetzt. Sie haben somit eine besondere Nähe zu den betroffenen Menschen.

"Wir als KVJS gestalten Lebens- und Sozialräume für alle Menschen in Baden-Württemberg. Wir kennen sie nur zu gut, die Herausforderungen im sozialen Bereich. Ob Kindertagesbetreuung, Jugendhilfe, Pflege oder Inklusion: Je mehr helfende Hände anpacken, umso besser. Gemeinnütziges Handeln ist hier unverzichtbar. Wenn sich Menschen für Menschen einsetzen, dann kommt das allen zugute. Ist es doch in unserer heutigen Zeit nicht immer selbstverständlich, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Gerade deshalb verdient gemeinnütziges Engagement unser aller Hochachtung und Wertschätzung."

Kristin Schwarz - Verbandsdirektorin Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS)

Gleichzeitig engagieren sie sich sozialanwaltschaftlich auch für diejenigen, die sich selbst wenig Gehör verschaffen können und deren Sorgen und Probleme im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Insbesondere die, die mildtätige Zwecke verfolgen, erfüllen damit auch eine Seismographenfunktion für individuelle Probleme und gesellschaftliche Schieflagen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der einzelne hilfebedürftige Mensch und/oder die Gemeinschaft. Häufig bringen diese Organisationen zusätzliche Mittel in die Arbeit ein, etwa durch das Einwerben von Spenden, zusätzlich akquirierte Fördermittel, durch Eigenmittel oder das Engagement der Engagierten. Sie sind innovativ und tragen dazu bei, neue Angebote vor Ort zu schaffen. Ihre Arbeit orientiert sich an fachlichen und ethischen Standards.

Im Sozial- und Gesundheitsbereich sind sie in den sechs Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege, zu denen der PARITÄTISCHE gehört, zusammengeschlossen. Dadurch entsteht ein breites Spektrum an Angeboten und Dienstleistungen mit hohen Qualitätsstandards. Häufigste Organisationsform ist der Verein. In der Vereinsarbeit wird demokratisches Engagement gelebt, gefördert und weitergegeben. Menschen können ihre Ideen einbringen und umsetzen. Eine von gemeinnützigen Organisationen getragene, lebendige soziale Landschaft vor Ort stärkt den sozialen Zusammenhalt. Öffentliche Verwaltung, Industrie, Handwerk und die Dienstleistungsbranchen profitieren von der Arbeit der gemeinnützigen Einrichtungen und Dienste vor Ort, denn ein gutes Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Unterstützungsangebote der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie auch Angebote der ambulanten und stationären Pflege entlasten die Beschäftigten in diesen Bereichen und unterstützen damit deren Arbeit. Eine gut ausgebaute und gemeinnützige Infrastruktur ist ein sozialer Standortfaktor. Gemeinnützige Organisationen fördern den Wettbewerb um die beste Unterstützung vor Ort. Indem sie regelmäßig haupt- und ehrenamtliches Engagement verbinden und ihre Arbeit werteorientiert gestalten, setzen sie eigene Standards und Maßstäbe auch für andere Anbieter.

"Als regionaler Träger der Freien Wohlfahrtspflege verfolgen wir aufmerksam die gegenwärtige Debatte um die Gemeinnützigkeit und zugleich sehen wir mit Sorge die Veränderung im sozialstaatlichen Gefüge. Für die Idee der Lebenshilfe ist die Gemeinnützigkeit von besonderer Bedeutung. Die Orts-, Kreis- und Regionalvereinigungen – so auch die Lebenshilfe Aalen – sind erst durch das ehrenamtliche Engagement von Eltern- und Angehörigen oder Unterstützern von Menschen mit (geistiger) Behinderung entstanden. Bis heute ist die Lebenshilfe daher zu allererst eine Interessenvereinigung und Ausdruck der Selbsthilfe – und zunehmend auch der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung in eigener Sache. Darüber hinaus steht die Lebenshilfe auch weiterhin, oder sogar mehr denn je, für ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement und ist ein wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft. Die Dienstleistungsangebote entstehen aus diesem Zusammenspiel und fließen natürlich in die örtliche Teilhabeplanung ein."

Thomas Feistauer - Geschäftsführer Lebenshilfe Aalen

Subsidiarität als Leitprinzip

Ein wichtiges und grundlegendes Leitprinzip für die Freie Wohlfahrtspflege ist das Subsidaritätsprinzip. Es bedeutet, dass das, was der Einzelne, die Familie oder Gruppen und Körperschaften aus eigener Kraft tun können, darf weder von einer übergeordneten Instanz noch vom Staat geleistet werden. Es soll sichergestellt werden, dass Kompetenz und Verantwortung des jeweiligen Lebenskreises anerkannt und genutzt werden. Der Staat schafft nur den dafür erforderlichen Rahmen beispielsweise für Vereine, die aus bürgerschaftlichen Initiativen entstehen.

Der Staat hilft also nur dann unmittelbar, wenn es kein anderer tut. Der Staat hat dem Einzelnen Hilfe sowie einen sozialen Ausgleich für benachteiligte Gruppen und Einzelpersonen zu gewähren. An der Verwirklichung einer gerechten Sozialordnung ist die Freie Wohlfahrtspflege als tragende Säule im Sozialstaat beteiligt. Die Freie Wohlfahrtspflege hat keine Gewinnmaximierungsabsichten, sondern investiert etwaige Überschüsse in den Satzungszweck. Gemeinnützige Organisationsformen sind staatlich anerkannt und werden im Vereinsregister bzw. ins Handelsregister eingetragen.

Der Subsidiaritätsgrundsatz sichert Vielfalt in den Angeboten und damit das freie Wunsch- und Wahlrecht. Es hat seine Wurzeln in den Grundwerten unserer Verfassung: die Achtung der Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit des Bekenntnisses.

Gemeinnützigkeit ist eine starke Basis für eine solidarische Gemeinschaft

Die Grundstrukturen des Gemeinnützigkeitsrechts – Beschränkung auf Körperschaften, Definition der steuerbegünstigten Zwecke, Ausschließlichkeitsgrundsatz, Gewinnausschüttungs- und Begünstigungsverbot, Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung und satzungsgemäßes Handeln – prägen die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen.

Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern eine Gesellschaft, an der alle teilhaben. Niederschwellige Beratungsangebote sind daher vorrangig in gemeinnützigen Organisationsformen zu finden. Gemeinnützigkeit heißt: Wir schütten keine Gewinne an Einzelne aus, sondern investieren in die Gemeinschaft und fördern mit unseren gemeinnützigen Zwecken die Allgemeinheit.

"Wenn ich Menschen, die sich bislang nicht mit gemeinnützigen Strukturen auseinandergesetzt haben, von unseren Rahmenbedingungen, unserer Gründungsgeschichte und der Motivation und dem großen Engagement unserer Gründer*innen und Gesellschafter*innen erzähle, sind diese oft sehr überrascht. Was diese denn persönlich davon hätten, kommt dann oft. Im monetären Sinne sicher nichts, – ganz im Gegenteil, sage ich dann. Aber das sehr gute Gefühl für uns alle etwas wirklich Wichtiges und Wertvolles geschaffen zu haben."

Sabine Neuber - Geschäftsführerin BIOTOPIA Arbeitsförderungsbetriebe Mannheim gGmbH

Gemeinnützigkeit und soziale Nachhaltigkeit

Immer mehr gemeinnützige und gewerbliche Unternehmen gelangen zu der Überzeugung, dass ein funktionierendes Gemeinwesen in einer gesunden Umwelt eine wichtige Voraussetzung für gute Geschäfte ist. Gerechte Bildung, sozialer Zusammenhalt, Toleranz, eine bedarfsbezogene soziale und kulturelle Infrastruktur, Engagement und Eigeninitiative, Familienfreundlichkeit, Gesundheit, eine intakte Umwelt werden immer bedeutsamer für eine positive Unternehmens- und Wirtschaftsentwicklung. Deshalb gehen immer mehr Unternehmen dazu über, mit ihren gesellschaftsbezogenen Aktivitäten genau auf diese Umfeldbedingungen Einfluss zu nehmen.

Der Paritätische Gesamtverband hat einen Katalog von sozialen und ökologischen Maßnahmen für eine soziale Nachhaltigkeit aufgestellt:

  1. Eine naturverträgliche Energierevolution
  2. Eine nachhaltige Mobilität für alle
  3. Eine soziale und ökologische Agrar- und Ernährungswende
  4. Soziale Sicherheit für die Transformation
  5. Einen starken Naturschutz
  6. Weniger Ressourcenverbrauch
  7. Eine gerechtere Gesellschaft (Geschlechtergerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Teilhabe für alle)
  8. Wohnen und Boden in Gemeinschaftshand
  9. Eine gute Pflege und Gesundheitsversorgung für alle
  10. Internationale Solidarität und die Einhaltung von Menschenrechten

Ziel der Freien Wohlfahrtspflege ist es, einen sozialen Fußabdruck analog zum ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen und für dieses Ziel mit allen anderen
gesellschaftlichen Akteuren zusammenzuarbeiten, Schnittstellen zu definieren und zu kooperieren, damit der soziale Fußabdruck möglichst groß wird.

Fazit

Die Arbeit der gemeinnützigen Wohlfahrtspflege darf aufgrund der gesetzlichen Vorgaben der Abgabenordnung nicht von der Gewinnmaximierung oder eigenwirtschaftlichen Bestrebungen motiviert sein, sondern von Werten wie Vielfalt, Miteinander und Diversität. Das Ziel muss sein, die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft zu fördern und bei der Bewältigung von sozialen Krisen zu helfen.

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Der Paritätischen Landesverband Baden-Württemberg sind über 800 selbstständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 4000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen.

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