Das Trio aus Stiftung Inklusive Stadt, das Inklusionsunternehmen Raumwerkerei und der Beschäftigungsträger Förderwerk Bremerhaven schafft mehr Inklusion in Bremerhaven. Im Interview erzählt Vorstandsmitglied Christiane Johannsen, wie der Abbau von räumlichen, sozialen und wirtschaftlichen Barrieren für benachteiligte Menschen und Inklusion in der Stadt spürbar vorangetrieben wird.

Christiane Johannsen ist Mitglied des Vorstandes der Stiftung inklusive Stadt. © Heiko Sandelmann

Die Stiftung inklusive Stadt besteht aus der Muttergesellschaft Stiftung Inklusive Stadt mit seinem Projekt Netzwerk Inklusives Bremerhaven, der Inklusionsfirma Raumwerkerei und dem Beschäftigungsträger Förderwerk Bremerhaven. Im Netzwerk Inklusives Bremerhaven setzen wir uns mit insgesamt 100 Haupt- und Ehrenamtlichen in vielfältigen Projekten für die Förderung von Inklusion in Bremerhaven ein. Von Schnuppertrainings für Rollstuhlbasketball, Informationsveranstaltungen zu den Möglichkeiten eines Inklusionshotels in Bremerhaven bis hin zu zwei großen Inklusionskonferenzen, um Menschen für Teilhabe und Inklusion zu sensibilisieren. Die Aktion Mensch fördert das Netzwerk und ermöglicht diese großartige Arbeit in der Seestadt.

Was macht die gemeinnützige Arbeit von der Stiftung Inklusive Stadt, der Raumwerkerei und dem Förderwerk Bremerhaven besonders?

Unser Hauptziel ist es, mit unseren Projekten und Initiativen, die Inklusion in Bremerhaven voranzutreiben und eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen. Dabei haben wir, abgesehen von der Begleitung des Paritätischen Landesverband Bremen, keine Träger im Hintergrund. Als freie Trägerschaft agieren wir gemeinnützig für die Gesellschaft und man traut uns zu, dem Thema wirklich neutral und loyal verschrieben zu sein. Dieses offene weite Herz für unsere Themen und keine Hidden Agenda macht uns stark.

Die gemeinnützige Arbeit in der Raumwerkerei zeichnet sich durch unsere große Wertschätzung für Menschen mit Behinderung aus. Es ist das zweitgrößte Inklusionsunternehmen in Bremen und beschäftigt 55 Mitarbeitende in den Bereichen Möbeltischlerei und Garten-Landschaftsbau tätig. Wir sind stolzer Arbeitgeber von 24 Menschen mit Schwerbehinderung, gehen einfühlsam auf ihre individuellen Bedürfnisse ein und verfolgen eine menschliche und sensible Personalführung. 

Gleichzeitig engagieren wir uns mit unseren Themen und Projekten in den Bereichen Garten- und Landschaftspflege sowie Möbeltischlerei für die Gesellschaft. Wir sind aktiv in die Stadtteilentwicklung eingebunden, beteiligen uns am sozialen Wohnungsbau und arbeiten oft mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften zusammen. Durch zahlreiche kleine Aktionen möchten wir Bremerhaven, eine eher graue Arbeiterstadt, bunter und lebendiger gestalten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit ganzem Herzen dabei, sei es in der Betreuung von Kindergärten oder bei der Pflege öffentlicher Grünflächen. Unsere Arbeit ist immer von einem starken Gemeinschafts- und Gesellschaftssinn geprägt.

Wie beziehen Sie Betroffene in ihre Arbeit ein?

Voll und Ganz. Im Rahmen des Projekts Netzwerk Inklusives Bremerhaven beteiligen sich Selbstvertreter*innen aktiv in den Arbeitsgruppen. Zudem haben wir Vertreter*innen in unserem obersten Gremium. Wir gehen stets auf individuelle Bedürfnisse ein und stellen Gebärdendolmetschende oder Verstehens-Assistent*innen bereit. Wir bieten auch Unterstützung in Bezug auf Barrierefreiheit und Übersetzungen in einfache Sprache an.

Im Inklusionsunternehmen Raumwerkerei gestalten wir derzeit einen Entwicklungsprozess mit partizipativen Workshops. Unser Ziel ist es, Menschen mit Beeinträchtigungen mehr Verantwortung und Arbeit in Führungspositionen zu ermöglichen. Es ist äußerst bereichernd, ihre Ideen und Vorschläge zu hören.

Beim Förderwerk sind wir alle eins. Der Beschäftigungsträger, mit Mosaik- und Klimaschutz-Werkstatt sowie Stromspar-Beratung, besteht seit über 30 Jahren und hat die Aufgabe, Langzeitarbeitslose in handwerkliche Berufe zu reintegrieren. Wir bieten sozialpädagogische Begleitung an und kümmern uns um Themen wie Schuldenabbau oder Mietangelegenheiten. Dabei haben wir immer den Menschen im Blick und helfen ihm dabei, sich dem ersten Arbeitsmarkt anzunähern. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, denn jeder hat seine Gründe beim Förderwerk zu sein. Diese Gründe, die sich über Jahre oder Jahrzehnte verfestigt haben, abzubauen, gelingt nur Stückchen für Stückchen.

Auf der Bremerhavener Inklusionskonferenz (Nächster Termin: 21.09.2023)

Warum stehen gemeinnützige Einrichtungen wie Ihre in diesen Zeiten unter Druck?

Die Gründung des Netzwerks Inklusives Bremerhaven während der Corona-Pandemie war eine große Herausforderung. Dennoch haben wir es geschafft in zweieinhalb Jahren 100 Leute aus unterschiedlichen Institutionen an den Start zu bringen, die sich in dieser Stadt engagieren.

Für das Netzwerk Inklusives Bremerhaven spielt die Finanzierung eine entscheidende Rolle. Aktuell erhalten wir eine zweieinhalbjährige Förderung von Aktion Mensch, aber wir arbeiten daran, das Projekt durch institutionelle Förderung langfristig abzusichern. Denn das, was sich in dieser Stadt schon getan hat, ist wirklich großartig. Es wäre bedauerlich für die Gesellschaft, all das aufgrund fehlender Finanzierung aufzugeben. Um Ehrenamt überhaupt bilden und fördern zu können, braucht es ein starkes Hauptamt und finanzielle Mittel. Nur dann können die Strukturen wirklich wachsen, gedeihen und blühen.

Inklusionsunternehmen dieserart sind in Norddeutschland noch nicht weit verbreitet und werden oft mit Werkstätten assoziiert. Es braucht tatsächlich noch umfassende Öffentlichkeitsarbeit, um Inklusionsunternehmen besser nach außen zu präsentieren. Im Bundesland Bremen fängt das durch ein tolles Integrationsamt gerade an. Allgemein braucht es bessere Kommunikationen über die Leistungsfähigkeit von Inklusionsunternehmen und welche Vorzüge es bietet, sie als Auftragnehmer zu engagieren.

Gleichzeitig müssen wir uns dafür einsetzen, dass rechtliche Aspekte und Gesetze vorangebracht werden. Es ist wichtig, eine sicherere rechtliche Grundlage zu schaffen, um Perspektiven zu ermöglichen. Mit Projektgeldern bewegt man sich von einem Projekt zum nächsten und weiß nie, wie die Situation in vier Wochen aussehen wird. Das ist dadurch ein sehr aufreibendes Geschäft und gleichzeitig besteht unsere essenzielle Aufgabe als Beschäftigungsträger doch darin, den Menschen Stabilität zu geben. Politik, Verwaltung und Gesetzgeber stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen, daher müssen wir flexibel handeln. Gleichzeitig müssen wir unseren Mitarbeitenden und alle Beteiligten gegenüber stabil und zuverlässig sein. Diese zarten Pflanzen, die sich dort entwickeln, würden sonst einfach sofort wieder abbrechen.

Was kann zu einer Stärkung von gemeinnützigen Einrichtungen beitragen?

Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels, in der unsere Gesellschaft großen Aufgaben gegenübersteht. Eine zuverlässige Finanzierung von gemeinwohlorientierten Initiativen wäre zweifellos eine entscheidende Unterstützung. Die Bürokratie stellt eine weitere Herausforderung dar. Der Zeitaufwand für Anträge, Steuern, Fördermittel und Sachleistungen ist enorm. Jede Woche beschäftige ich mich entweder mit einer Abrechnung oder einem neuen Förderantrag über die drei Unternehmen hinweg. Wenn wir die Bürokratie reduzieren könnten, wäre dies in vielerlei Hinsicht hilfreich. Zum Beispiel könnten Anträge für Gebärdendolmetschende auf weniger Seiten reduziert werden.

Eine große Herausforderung ist es auch, auf die individuellen Wünsche der Mitarbeitenden einzugehen. Einige Menschen benötigen eine starre Struktur, während andere flexiblere Arbeitsbedingungen bevorzugen. Es ist entscheidend, die Wünsche und Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden zu berücksichtigen, da sie die Quelle sind. 

 

Das Interview führte Lilly Oesterreich


Mit der Kampagne #EchtGut - Vorfahrt für Gemeinnützigkeit vermittelt der Paritätische Gesamtverband seit Anfang 2021 das Thema Gemeinnützigkeit. Nach zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Informationsmaterial, porträtiert der Verband nun in einer Beitragsreihe soziale gemeinnützige Mitgliedsorganisationen. Wie gestalten, leben und zelebrieren die Organisationen ihre Gemeinnützigkeit? Wie zeigen sich gemeinnützige Strukturen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Ehrenamtlichen und welchen Herausforderungen und Chancen begegnen gemeinwohlorientierte Einrichtungen in der heutigen Zeit?

Hier können Sie den Steckbrief der Stiftung inklusive Stadt als PDF herunterladen.

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Portrait von Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich

Lilly Oesterreich ist Projektreferentin für Digitale Kommunikation beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband in Berlin. Sie betreut die Paritätische Mitgliederplattform #WirSindParität.

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