Über 1000 Afghan*innen warten darauf, dass die Bundesregierung ihr Versprechen einlöst und sie evakuiert.

Im Oktober 2022 wurde das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) für besonders gefährdete Afghan*innen ins Leben gerufen - getragen von allen demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages. Ziel war es, besonders gefährdete Afghan*innen, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Künstler*innen, Anwält*innen, Sportler*innen, Frauen und LGBTIQ-Personen vor politischer Verfolgung und akuter Lebensgefahr der Taliban zu schützen. 

Bis Juli 2024 wurden für insgesamt 3.071 Personen Aufnahmezusagen im Rahmen des BAP erteilt. Bei allen Betroffenen wurde nach aufwändigen und sorgfältigen Prüfverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Bundesinnenministerium (BMI) eine individuelle Gefährdung festgestellt. Diese Feststellung begründet eine verbindliche Aufnahmezusage und damit eine rechtliche Verpflichtung Deutschlands zur Schutzgewährung.

Aktuell warten noch immer rund 1.010 Afghan*innen mit Aufnahmezusagen aus dem BAP teils seit über eineinhalb Jahren in Pakistan auf ihre Visaerteilung und Ausreise nach Deutschland - mittlerweile häufig ohne sichere Unterbringung, ausreichende medizinische Versorgung oder Zugang zu Bildung. Neben ihnen warten etwa 220 Personen aus dem Ortskräfteverfahren und etwa 660 Personen der sogenannten Menschenrechtsliste und dem Überbrückungsprogramm in Pakistan auf ihre Evakuierung (Stand 6. Oktober 2025). Viele von ihnen leben in permanenter Angst vor massiver Gewalt, Verhaftung oder Abschiebung.

Doch anstatt diese Menschen schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen, wird ihr Recht auf Schutz verweigert; und ihr Leben massiv bedroht.

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag entschieden alle humanitären Aufnahmeprogramme, so auch das BAP für besonders gefährdete Personen „soweit wie möglich“ zu beenden. Aktuell werden die bestehenden Aufnahmezusagen für afghanische Staatsangehörige im Detail (erneut) überprüft, um für jede Person festzustellen, ob die Aufnahmekriterien weiterhin erfüllt sind.

Dabei haben mehrere Verwaltungsgerichte, darunter das Verwaltungsgericht Berlin, die Rechtmäßigkeit der Aufnahmezusagen der betroffenen Afghan*innen wiederholt bestätigt und zur Visaerteilung verpflichtet.

Währenddessen schieben pakistanische Behörden - auch Menschen mit deutscher Aufnahmezusage - verstärkt nach Afghanistan ab. Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich derzeit noch etwas über 200 Personen aus den verschiedenen Aufnahmeverfahren nach einer Abschiebung in Afghanistan. Ihr Leben ist besonders bedroht, weil ihnen schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen – von Folter und Misshandlungen bis hin zu sexualisierter Gewalt und Tötungen.

Zugleich erhalten die abgeschobenen Personen in Afghanistan nun vermehrt Widerrufsbescheide unter Hinweis auf angeblich geänderte Gefährdungslagen.

Ein aktuelles Rechtsgutachten stellt fest, dass sich die Bundesregierung strafbar macht, wenn sie gefährdete Afghan*innen mit bereits erteilter Aufnahmezusage nicht schützt und deren Abschiebung nach Afghanistan zulässt.

Das Schicksal vieler Betroffener hängt inzwischen davon ab, ob ein Gerichtsurteil rechtzeitig vor einer drohenden Abschiebung aus Pakistan ergeht - ein Zustand, der mit dem Selbstverständnis eines Rechtsstaates unvereinbar ist.

Wenn Behörden Gerichtsentscheidungen missachten, geraten die Grundpfeiler unseres Rechtsstaates ins Wanken. Nicht die Politik entscheidet, wer Recht hat – sondern die Bindung an Recht und Gesetz muss Maßstab staatlichen Handelns bleiben. Es geht hier um weit mehr als um einzelne Fälle: Es geht um die Glaubwürdigkeit Deutschlands im Menschenrechtsschutz, um die Verlässlichkeit staatlicher Zusagen, um unser Grundgesetz und die Würde jedes Menschen.

Zum dritten Jahrestag des BAP Afghanistan am 17. Oktober 2025 appellieren wir an alle politischen Entscheidungsträger*innen: Deutschland trägt nicht nur eine humanitäre Verantwortung, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung. Die Schutzsuchenden mit Aufnahmezusage über das BAP müssen jetzt evakuiert werden – ohne weiteres Zögern. Auch Personen mit Aufnahmezusagen über das Ortskräfteverfahren, die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm muss endlich eine Einreise nach Deutschland ermöglicht werden.

Autor*in

Susann Thiel

Referentin für Flüchtlingshilfe-/politik

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