Anlässlich der Aktionswoche für die bundesgeförderten Migrationsangebote der Wohlfahrtsverbände wird exemplarisch ein Träger der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) vorgestellt, wie er Migrant*innen durch seine Beratungsarbeit bei ihrer Integration unterstützt und sich gegenüber der Politik für eine angemessene Finanzierung der Beratung und mehr Teilhabemöglichkeiten für Migrant*innen einsetzt. Ein Beitrag von Sebastian Muy, Referent für Migrationssozialarbeit beim Paritätischen Gesamtverband.
Der Verein Reistrommel e.V. wurde 1993 in Berlin gegründet. Er sieht sich der Idee sozialer Gerechtigkeit und der Chancengleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft verpflichtet. Insbesondere verfolgt der Verein das Ziel, die Lebenssituation und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen zu verbessern, die als Arbeitsmigrant*innen oder als Asylsuchende aus Vietnam nach Deutschland gekommen sind. Seine Räumlichkeiten hat er in Marzahn, also in einem Berliner Stadtteil, in dem besonders viele Vietnames*innen leben. Dort bietet der Verein verschiedene Leistungen an, darunter etwa Förderangebote für Kinder und Jugendliche, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit über die Lebenssituation von vietnamesischen Migrant*innen, Fortbildungen, Projekttage und Kulturveranstaltungen, Integrationskurse und die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE).
Mehr Teilhabe durch die MBE von Reistrommel e.V.
Die Menschen, die die Migrationsberatung von Reistrommel e.V. aufsuchen, sind überwiegend aus Vietnam nach Deutschland gekommen, aber zu einem kleineren Teil auch aus anderen Ländern. Bei Reistrommel e.V. finden sie bei Bedarf Unterstützung in ihren Angelegenheiten des täglichen Lebens, im Umgang mit Behörden und beim Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe. Die Palette von Themen und Anliegen, die die Menschen in die Beratungsstelle mitbringen, ist breit. Der Migrationsberater von Reistrommel e.V. berichtet exemplarisch, wie die MBE ihren Klient*innen bei der Bewältigung von Problemen und beim Zugang zu mehr Teilhabe Hilfe leistet:
Die Beratungsstelle unterstützt die zugewanderten Menschen beim Zugang zu Gesundheitsversorgung: Sie hilft ihnen bei der Kommunikation mit Ärzt*innen, bei der Vorbereitung auf Kliniktermine, beim Zugang zu Krankenversicherungsschutz sowie beim Finden einer logopädischen Therapie für ein Kind.
Sie fördert auch ihren Zugang zu Erwerbsarbeit: Sie informiert Menschen über den Arbeitsmarkt in Berlin, assistiert bei der beruflichen Neuorientierung und bei der Suche nach einer Berufsausbildung.
Die MBE unterstützt beim Zugang zu Bildung: Um den Alltag in Deutschland besser zu bewältigen und bessere Chancen bei der Suche nach einem guten Arbeitsplatz zu haben, unterstützt sie dabei, auch über das B1-Sprachniveau hinaus Zugang zu passenden Deutschkursen zu erhalten. Den Eltern eines Kindes, das gerade eingeschult wurde, hilft sie, die für den Unterricht benötigten Schulmaterialien zu besorgen.
Und sie unterstützt bei Bedarf auch beim Zugang zu weiteren sozialstaatlichen Leistungen, etwa Bürgergeld, Kindergeld oder einem Wohnberechtigungsschein (WBS). Wenn die Betroffenen vom Jobcenter oder von der Familienkasse einen Antwortbrief erhalten und zur Nachreichung von Unterlagen aufgefordert werden, hilft die MBE ihnen, den Inhalt des Briefes zu verstehen, über ihre Rechte und Pflichten Bescheid zu wissen, die geforderten Unterlagen zusammenzustellen und fristgerecht einzureichen. Davon, so der Migrationsberater, profitieren nicht nur die ratsuchenden Menschen, sondern auch die Behörden, die hierdurch entlastet werden.
Viele Ratsuchende, erzählt er, hatten vor ihrer Migration nach Deutschland deutlich weniger mit Bürokratie und behördlichen Papieren zu tun. Die MBE unterstützt die neuzugewanderten Menschen daher dabei, sich im Geflecht der Behörden und Hilfesysteme zurechtzufinden und den Umgang mit wichtigen Briefen und Dokumenten zu lernen. Viele Behörden und Einrichtungen haben ihre Prozesse mittlerweile zunehmend digitalisiert. Auch damit können nicht alle Menschen gut umgehen, etwa bei mangelnden deutschen Sprachkenntnissen oder Erfahrungen im Umgang mit Computern. Der Verein unterstützt diese Menschen daher dabei, auf digitalem Weg Anträge oder Unterlagen bei Behörden einzureichen.
In Vorbereitung der Aktionswoche hat der Migrationsberater seine Klient*innen ermutigt, auf Postkarten zu schreiben, mit welchen Problemen sie in die Beratungsstelle gekommen sind und inwiefern die MBE ihnen geholfen hat, diese Probleme zu lösen. Manche schreiben auch auf, was sie sich von der Politik wünschen, um ihre Lebenssituation zu verbessern, wie zum Beispiel: mehr bezahlbare Wohnungen und mehr Integrationskursangebote. Diese Postkarten werden anschließend im Rahmen der Aktionswoche vom Verein an politische Entscheidungsträger*innen versandt, zusammen mit einem Anschreiben, das auf die hohe Beratungsnachfrage, die prekäre Situation vieler Trägerorganisationen und die Notwendigkeit einer stabilen und ausreichenden Finanzierung aufmerksam macht.
Die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE)
Die MBE ist ein bundesgefördertes Beratungsprogramm für zugewanderte Menschen ab dem Alter von 27 Jahren und existiert bereits seit 2005. Es wird von den Trägerverbänden der Freien Wohlfahrtspflege sowie vom Bund der Vertriebenen in bundesweit rund 940 Beratungsstellen (Stand 2024) durchgeführt. Ziel der MBE ist, zugewanderte Menschen durch Informationsvermittlung, professionelle Beratung und sozialpädagogische Begleitung in ihrem Integrationsprozess zu unterstützen, ihre gesellschaftliche Teilhabe und ihr selbstbestimmtes Handeln in ihren alltäglichen Angelegenheiten zu fördern. Außerdem soll sie durch aktive Mitarbeit in kommunalen Netzwerken und Kooperationsstrukturen auch zur interkulturellen Öffnung der Regeldienste – also etwa Behörden oder Hilfs- und Beratungsangebote ohne migrationsspezifischen Fokus – beitragen.
Erst im Frühjahr 2025 wurde in einer Evaluationsstudie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) nachgewiesen, dass die Arbeit der MBE wirkt: Sie unterstützt ihre Adressat*innen wirksam bei der Bewältigung von Problemen und Herausforderungen und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebenslage und Lebenszufriedenheit. Die MBE unterstützt zugewanderte Migrant*innen bei der Integration, indem sie beispielsweise Zugänge zu Integrationskursen, zum Arbeitsmarkt, zum Ausbildungssystem sowie zu Regeldiensten und Behörden vermittelt und Hilfestellungen zum eigenständigen Handeln in diesen Kontexten leistet.
Die Aktionswoche für die bundesgeförderten Migrationsangebote
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) veranstaltet vom 29. September bis zum 3. Oktober 2025 eine Aktionswoche für die bundesgeförderten Migrationsangebote: die Asylverfahrensberatung (AVB), die Jugendmigrationsdienste (JMD), die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) und die Psychosozialen Zentren für Geflüchtete (PSZ). In diesem Rahmen macht sie auf die unverzichtbare Arbeit der Programme im Bereich Migration und Flucht und die Notwendigkeit einer ausreichenden finanziellen Ausstattung aufmerksam.
Anlass für die Aktionswoche sind die anstehenden Beratungen zum Bundeshaushalt 2026. In diesen sind bislang leider Kürzungen bei den bundesgeförderten Migrationsprogrammen AVB, MBE und PSZ geplant. Besonders gravierende finanzielle Einschnitte sind für die PSZ vorgesehen: Die Mittel für das „Bundesflüchtlingsprogramm“, aus denen die PSZ finanziert werden, sollen um rund 40 % gekürzt werden. Diese Mittelkürzungen gehen zulasten von psychisch stark belasteten Geflüchteten, denen der Zugang zu psychosozialer Beratung, Behandlung und Stabilisierung verwehrt wird, und durch die Folgewirkungen solcher verwehrter Hilfen auch zu Lasten der ganzen Gesellschaft. Aber auch bei der AVB und bei der MBE sind Kürzungen geplant. Angesichts von fortlaufenden Kostensteigerungen bräuchte es stattdessen einen Mittelaufwuchs in allen Programmen, um den tatsächlichen Bedarfen gerecht zu werden.
Im Rahmen der Aktionswoche weisen – neben Reistrommel e.V. – auch viele weitere Trägerorganisationen durch Gespräche, Podiumsdiskussionen, Tage der offenen Türen oder andere Aktivitäten auf die bedeutende Rolle der Bundesprogramme im Bereich Migration und Flucht hin und setzen sich für die dringend erforderliche Unterstützung ihrer Arbeit ein.