Die Bundesregierung plant aktuell, Afghan*innen Geld für ihre Rückkehr anzubieten. Warum das nicht hinnehmbar ist, schildert unsere Referentin für Flüchtlingshilfe und Flüchtlingspolitik, Susann Thiel.
Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 sind etliche Afghan*innen in akuter Lebensgefahr. Besonders gefährdet sind Menschen, die sich für Demokratie, Bildung, Menschenrechte, Frauenrechte eingesetzt haben, Lehrer*innen, Journalist*innen, Jurist*innen, queere Menschen sowie ehemalige Ortskräfte. Für einige Auserwählte von ihnen hat Deutschland nach intensiven Sicherheitsprüfungen Schutz zugesagt – über humanitäre Aufnahmeprogramme wie die sogenannte Menschenrechtsliste, das Überbrückungsprogramm, das Ortskräfteverfahren und das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan – initiiert und unterstützt von allen demokratischen Bundestagsfraktionen.
Menschen mit Aufnahmezusage – und ohne Ausweg
Doch trotz Aufnahmezusage sitzen aktuell noch immer rund 2.000 besonders gefährdete afghanische Staatsbürger*innen in Pakistan fest - der Großteil sind Frauen und Kinder. Sie haben alles hinter sich gelassen, ihre Existenz in Afghanistan aufgegeben, und warten teilweise seit zwei Jahren auf ihre Einreise nach Deutschland. In Pakistan leben sie unter prekären Bedingungen, ohne Perspektive und in ständiger Angst vor Abschiebung. Alles, was sie wollen, ist endlich in Sicherheit zu leben.
Die zuletzt nach Deutschland eingereisten rund 70 Personen mussten ihre Visa zuvor erst durch erfolgreiche verwaltungsgerichtliche Verfahren erstreiten. Andere hatten weniger „Glück“: Trotz deutscher Aufnahmezusagen haben die pakistanischen Behörden in den vergangenen Wochen etliche Menschen unter massiver Gewaltanwendung nach Afghanistan abgeschoben und teilweise verharren sie noch immer dort - unter Todesangst.
Geld statt Schutz? Wie die Bundesregierung gefährdete Afghan*innen im Stich lässt
In dieser ohnehin dramatischen Lage haben zahlreiche Betroffene in Pakistan am 4. November 2025 eine E-Mail vom Bundesinnenministerium erhalten. Darin wird ihnen eine finanzielle „Unterstützung“ sowie Sachleistungen angeboten – unter der Bedingung, dass sie auf ihre Aufnahmezusage verzichten und „freiwillig“ nach Afghanistan zurückkehren. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Verfahren Ende 2025 vollständig abgeschlossen sein müssen, es aber „leider“ nicht garantiert sei, dass alle Verfahren rechtzeitig abgeschlossen werden können. Den Betroffenen wird eine zwei-wöchige Frist zur Antwort gegeben.
Wörtlich heißt dies sinngemäß: Wer das Geld annimmt, verzichtet dauerhaft auf die Aufnahme in Deutschland. Geld für den Verzicht auf Schutz. Eine Art „Rückkehrprämie“, wenn sie in das Land zurückkehren, das sie aus Angst um ihr Leben verlassen mussten. Den Betroffenen wird zudem damit gedroht, dass ihre Verfahren nicht fortgeführt werden können. Was sollen sie also tun?
Brief an Merz: „Unser Leben ist keine Summe in Euro“
In einem eindringlichen Appell vom 8. November 2025 haben sich schließlich einige der betroffenen Afghan*innen selbst an Bundeskanzler Merz und die Bundesregierung gewandt. Sie reagieren mit Empörung auf das Angebot des Bundesinnenministeriums, gegen Geld auf ihren Anspruch zu verzichten. Sie fordern die Bundesregierung auf, das gegebene Schutzversprechen endlich einzuhalten – bevor es für viele zu spät ist. Diese Menschen flohen nicht aus wirtschaftlicher Not, sondern vor Verfolgung, Folter und der sehr realen Gefahr des Todes:
„Wir sind vor Bedrohung und Tod geflohen und haben bei Ihnen Schutz gesucht. (…) Wir sind nicht vor Armut geflohen, sondern vor Gewalt und Tod. (…) Wir haben uns nicht wegen Geld in Ihren Schutz begeben – wir wollten und mussten der Taliban-Herrschaft entkommen, um zu überleben. (…) Wir können nicht zurück nach Afghanistan. Diese Rückkehr würde für viele von uns brutal und gewaltsam enden. (…) Ein solches Angebot gibt uns das Gefühl, dass unser Leben und das unserer Familien nur eine Summe von Euros bedeutet. (…) Es trifft tief unsere Herzen, wenn jemand uns mit Geld dazu bewegen will, dass wir unsere Sicherheit verkaufen – und einige von uns auch ihr Leben.“
Was als „freiwilliges Angebot“ dargestellt wird, ist in Wahrheit eine Form von Druckausübung. Wer ohne Visum in Pakistan festsitzt, kaum Rechte hat und täglich mit Abschiebung rechnen muss, kann nicht „freiwillig“ entscheiden, auf Schutz zu verzichten.
Mit diesem Vorgehen verletzt die Bundesregierung rechtsstaatliche Grundprinzipien, entzieht sich moralischer Verantwortung und verspielt politisches Vertrauen.
Menschen, die vor Folter, Verfolgung und Tod geflohen sind, wird Geld angeboten – nicht, um sie zu schützen, sondern um sie zur Rückkehr in Lebensgefahr zu bewegen. Ein solcher „Anreiz“ widerspricht nicht nur jeder humanitären Logik, sondern auch dem Grundgedanken des Flüchtlingsschutzes: Schutz ist kein verhandelbares Gut.
Humanitäre Aufnahmen - jetzt!
Vielmehr braucht es jetzt konsequentes rechtsstaatliches Handeln: Den betroffenen Menschen muss unverzüglich die Einreise nach Deutschland ermöglicht werden.
Aufnahmezusagen einzuhalten, Verfolgte zu schützen und das Recht zu achten – das ist kein Gnadenakt, sondern Kern unseres demokratischen Rechtsstaats.
Das, was die Menschen brauchen, ist Schutz anstatt Geld!