Der Stadtteil Neckarstadt-West in Mannheim ist im Umbruch. Das einst günstige Viertel wird teurer und viele armutsbetroffene Menschen können sich das Leben dort plötzlich nicht mehr leisten. Hilfe finden sie im Café "Kupfer", betrieben von Ausweg Rhein-Neckar. Über den Alltag in Neckarstadt-West sprachen wir mit Dr. Verena Mayer und Pia Maier vom Verein.
Was ist Ausweg Rhein-Neckar und welche Hilfe bieten Sie an?
Dr. Verena Mayer: Wir sind ein ganz junger Verein, der sich erst seit 2022 gegründet hat. Unsere Gründungsmitglieder sind größtenteils Menschen, die selbst Armutserfahrungen haben oder hatten. Wir haben uns damals gefragt, was man fernab von irgendwelchen Jobcentermaßnahmen für armutsbetroffene Menschen machen kann und was ihnen wirklich hilft. Lange haben wir gar kein Geld bekommen, auch keine Förderungen oder Spenden. Wir haben zunächst ehrenamtlich auf der Straße mobile Notlagenberatung angeboten. Aber seit Februar dieses Jahres bekommen wir genug Fördergelder um das „Kupfer“, unseren Treffpunkt für armutsbetroffene Menschen, zu betreiben. Unser Laden befindet sich in Mannheim, in der Neckarstadt West. Das ist ein sehr interessantes Quartier. 72 Prozent der Bewohner*innen hier sind migrantisiert, viele leben von Grundsicherungsleistungen, sind Working Poor oder haben kleine Renten.
Was genau ist das „Kupfer“?
Dr. Verena Mayer: Das ein niedrigschwelliger Treffpunkt. Es ist wie ein Café, das alle besuchen können und es gibt eine kostenlose Tasse Kaffee und gerettete Lebensmittel oder bei Bedarf auch Kleider- und Sachspenden. Und man kann sich immer und ohne Termin mit einem Beratungsanliegen an uns wenden und wir beraten direkt im Café. Das ist nochmal ein anderes Setting als in den üblichen Beratungsstellen.
Wie merken Sie an ihren Gästen die aktuelle Situation auf dem Mietenmarkt?
Dr. Verena Mayer: Die merken wir sehr klar. Wir dokumentieren, wer mit welchem Anliegen zu uns kommt. Einige kommen konkret mit der Wohnungssuche zu uns, aber viele kommen in die Beratung mit einem ganz anderen Anliegen, erzählen dann auch von ihrer Wohnungssituation und wie schwierig das alles ist. Menschen, die Transferleistungen beziehen oder ein ganz geringes Einkommen haben, werden von den Vermieter*innen kaum zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen und haben so keinen Zugang zum Wohnungsmarkt. Wir erleben das dauernd.
Pia Maier: Eigentlich ist es mehrmals wöchentlich ein Thema bei uns. Auf dem privaten Wohnungsmarkt ist es fast aussichtslos, für unsere Ratsuchenden etwas zu finden. Da bleiben noch die Wohnungsbaugesellschaften, aber auch da sind die Hürden sehr hoch. Es gibt einfach viel zu wenig Wohnraum auf dem Markt. Das Thema liegt uns sehr am Herzen, auch weil wir kaum Lösungsmöglichkeiten dafür haben. Wenn wir schon „Wohnungssuche“ hören, sind wir innerlich angespannt, weil man außer bei Anmeldungen auf Portalen oder bei Formulierungen oder Unterlagen kaum helfen kann. Aber vieles ist hoffnungslos. Die Leute haben auch einfach eine unfassbare Angst davor, auf der Straße zu sitzen.
Dr. Verena Mayer: Was wir können, ist Mut machen. Irgendwann klappt es ja immer und wir können nur sagen: Gib nicht auf und such einfach weiter. Ganz schlimm ist es aber natürlich, wenn wohnungslose Menschen zu uns kommen oder die, die kurz davorstehen. Für Wohnungslose gibt es in Mannheim recht wenig Möglichkeiten an Wohnraum zu kommen. Zum Beispiel haben wir hier kein Housing First. Da wird es schwierig zu unterstützen. Auch bei Eigenbedarfsklagen, da verweisen wir meist an Anwälte.
Können Sie eine Entwicklung bezüglich der Wohnungssuche beobachten?
Dr. Verena Mayer: Wir sind ja seit Mitte 2023 in mobiler Beratung unterwegs. Es war immer ein schweres Thema, weil das Mietkonzept der Stadt Mannheim sehr undurchsichtig ist. Wir kennen die genaue Angemessenheitsgrenze des Jobcenters nicht. Wir mutmaßen aber, dass sie viel zu niedrig ist. Das ist von vornherein immer ein schwieriges Thema. Neckarstadt West ist ein Quartier, das mitten in der Gentrifizierung steckt. Wohnungen und Häuser werden von Investoren aufgekauft, die alten Bewohner*innen werden rausgeekelt und die Wohnung wird für einen sehr hohen Quadratmeterpreis neu vermietet. Gleichzeitig ändert sich das Stadtbild. Es eröffnen teure Restaurants und Cafés, die sich Menschen, die hier eigentlich leben, nicht leisten können.
Pia Maier: Die Entwicklung geht eigentlich von schlecht zu noch schlechter und es ist keine Verbesserung in Sicht. Es werden zwar besonders in angrenzenden Stadtteilen viele neue Wohnungen gebaut, aber die sind unerschwinglich.
Dr. Verena Mayer: Und wenn sie erschwinglich sind, bekommen unsere Leute die Wohnungen oft nicht aufgrund klassistischer Diskriminierung. Bei einer Wohnungsbesichtigung hast du keine Chance gegen 30 andere Interessent*innen, wenn du Bürgergeld beziehst und vielleicht noch einen migrantisch klingenden Namen hast.
Aber haben Sie denn schon einmal ein Erfolgserlebnis gehabt, wo sie jemandem wirklich weiterhelfen konnten?
Pia Maier: Ja, der Ratsuchende hatte eine Eigenbedarfskündigung bekommen und kam über eine Organisation zu uns, die sich für Sinti und Roma einsetzt. Er ist Analphabet und kann sich schlecht ausdrücken. Bei unserer Wohnungsbaugesellschaft muss man sich online registrieren, was ja schon für viele eine Hürde ist. Er hat sich trotzdem angemeldet, aber eine Absage nach der anderen bekommen. Dann kam der Klient zu uns und wir haben ihm im Bewerbungsprozess geholfen. Er kam wirklich mehrfach in der Woche, weil er auch die Angebote und Ablehnung nicht lesen konnte. Wir haben Briefe geschrieben und wir haben noch einmal persönlich versucht, die Wohnungsbaugesellschaft zu kontaktieren. Und tatsächlich hat er jetzt eine Wohnung bekommen, nachdem er circa ein halbes Jahr mehrfach wöchentlich hier war. Jetzt ist alles gut.
Dr. Verena Mayer: Natürlich hat es auch funktioniert, weil er selber drangeblieben ist und die Hoffnung einfach nicht aufgegeben hat. Und das ist es glaube ich. Man muss einfach dranbleiben.
Was würden Sie sich von der Politik wünschen, um die Situation zu verbessern?
Dr. Verena Mayer: Insgesamt müssen die Wohnkosten gesenkt werden und mehr Sozialwohnungen bereitgestellt werden, die Menschen mit wenig Einkommen sich wieder leisten können. Und natürlich muss insgesamt mehr gegen Armut getan werden. Die Mindestlöhne müssen steigen, die Renten müssen armutsfest werden und die Sozialleistungen müssen so gestaltet werden, dass man nicht mehr armutsbetroffen ist, wenn man sie erhält. Die Mietkonzepte der Kommunen müssen so aufgestellt werden, dass die Angemessenheitsgrenze für die Wohnkosten auch realistisch ist. Viele, die Grundsicherung beziehen, zahlen ja noch aus ihrem geringen Regelsatz bei der Miete drauf, weil die Wohnkosten nicht voll übernommen werden. Da würde ich mir insgesamt wünschen, dass etwas von der Regierung getan wird und Bürgergeldbeziehende nicht nur stigmatisiert werden.
Pia Maier: Und man muss die Menschen sichtbarer machen. Ärmere stehen so sehr am Rand, man spricht nicht mit Ihnen, sondern nur über sie. Man muss Armutsbetroffenen eine Stimme geben. Und ich finde, die Möglichkeit zur Eigenbedarfskündigung muss grundlegend überarbeitet und jedes Schlupfloch geschlossen werden.
Dr. Verena Mayer: Und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich nicht gegen armutsbetroffene Menschen positioniert. Im Gegenteil: Sie sollten darüber aufklären, dass Armut keine Charakterschwäche ist und die Menschen nicht selbst schuld an ihrer Situation sind. Stattdessen muss man an die strukturellen Ursachen von Armut gehen. Mitgefühl statt spalten, sozusagen. Das wäre für mich eigentlich auch Regierungsaufgabe, die leider gerade eher das Gegenteil macht.